Mit freundlicher Genehmigung durch Rittiner&Gomez, Spiez, CH |
Ratur lief, den Kater im Gefolge, zur Wohnungstür und
öffnete. Im Treppenhaus stand Frau Zweyer, eine lebenserfahrene Frau in den
besten Jahren, hielt Ratur einen Teller mit Apfelkuchen unter die Nase:
Für Sie, Herr Lite, heute frisch gebacken!, lächelte sie und
machte einen Schritt zu auf den im Türrahmen Stehenden, dass Ratur
unwillkürlich einen Schritt zurück in die Wohnung wich. Nicht, dass Ratur etwas
gegen Nähe hatte, im Gegenteil, doch war er ein Eigenbrötler und selten in
Stimmung. Im Augenblick jedoch kam seine Nachbarin ihm gelegen. Stand sie doch
mit beiden Beinen fest im Leben. Ob sie die Katze in seiner Wohnung sehen würde
und – auch hören?
Oh, danke schön, kommen Sie doch bitte herein auf eine Tasse
Kaffee!
Frau Zweyer folgte ihm auf dem Fuße in die Küche, ebenso der
Kater, der hast du nicht gesehen auf den Tisch gesprungen kam und sich wieder
auf dessen Mitte setzte. Ratur holte derweil Teller aus dem Küchenschrank,
kochte Kaffee und plauderte mit Frau Zweyer über den Tag, das Leben und die
Vorzüge selbstgebackenen Apfelkuchens. Aufmerksam musterte er ihr Mienenspiel,
doch war ihr nicht anzumerken, dass irgendetwas anderes als er, Ratur, und der
Verzehr von Kuchen und Kaffee ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein kapitaler
Kater auf dem Küchentisch ist eigentlich nicht zu übersehen. Vor allem von
einer Dame nicht, die sicherlich alle Dinge in Ordnung zu bringen wusste und in
deren Weltbild alles einen festen Platz zugewiesen bekommen hatte. Kein Mucks.
Ratur zweifelte an seinem Verstand. War er der einzige, der
den Kater sah? Sein rotfelliges Gegenüber schwieg und blinzelte.
Ich hatte mir schon gedacht, wo Sie wohl bleiben, als sie
heute Mittag aufbrachen auf ein Stündchen am Meer und bei Sonnenuntergang noch
immer nicht zurück waren, Herr Lite.
Ratur schilderte ihr seinen Tag am Meer, die Begegnung mit
der Frau im blauen Kleid und erzählte von dem seltsamen Gefühl der
Vertrautheit, das diese Unbekannte während der kurzen Zeit seiner Gesellschaft
genossen hatte – und dass es ihm, dem Zweifler, eigentlich nicht anders ergangen
war.
Warum in Gottes Namen nahm sie keine Notiz von dem Kater,
der mitten auf dem Tisch saß und sich pflegte?
Mit Katzen ist das nicht anders, ließ Frau Zweyer ihn
aufhorchen, wenn die sich nicht wohl fühlen, suchen sie sich ein neues Zuhause,
eines, in dem sie willkommen sind, das sie nicht in Frage stellt, eine Heimat,
in der sie sich geborgen fühlen. Dort lassen sie sich nieder - und bleiben.
Katzen? Ja, Katzen, so wie …
Ratur hielt inne. Tierhaltung laut Mietvertrag verboten,
sich nachsagen lassen zu müssen, Tiere zu sehen und mit ihnen zu sprechen, die
ansonsten niemand sah, ebenfalls keine verlockende Aussicht. Frau Zweyer
bedankte sich für die Einladung, erhob sich und schwebte dem Ausgang zu. Ratur
begleitete sie mit Dank und Komplimenten. In der Tür, der Kater schlüpfte ihre
Beine entlang streichend mit hinaus, wandte sie sich um und lächelte zum
Abschied:
Eine hübsche Katze haben Sie da, Herr Lite, zugelaufen?
Ach, die, ach … Nein, die … der war einfach schon da, als
ich heimkam, keine Ahnung, wie …
Ach, Herr Lite, ich werde Sie schon nicht verpfeifen, gute
Nacht!
Gute Nacht – und … danke schön!
Rasch drückte Ratur die Tür leise ins Schloss, wandte sich
mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung um - und sah seinen Gast im Flur
sitzen, das Fell ein warmes Orange und alabastern schimmerten darin Milch und
Honig. Ihm war, als würde der Rote grinsen.
Wir müssen reden, Kater!
Ach ja? Reden?
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