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Donnerstag, 28. September 2017

Herr Schalupke und das Schiff


Er stand am Strand und schaute aufs Meer. Es duftete nach Tee, schwarzem Tee. Am Horizont tauchte die Silhouette eines Schiffes auf, das Kurs auf den Strand hielt. Herr Schalupke setzte sich auf ein Sandkorn, ließ sein blaues Huhn in den Dünen spazieren und wartete auf die Ankunft des Schiffes. Allmählich kam es näher. Seltsam: Obwohl es sich stetig näherte, blieb es doch so klein, wie es am Horizont aufgetaucht war. Herr Schalupke selbst jedoch, sein Huhn ebenfalls, wuchs und wuchs. Als das Schiff anlandete, krempelte Herr Schalupke seine Hosenbeine hoch bis zu den Knien. Er rief sein Huhn zu sich, nahm es unter den Arm und watete zum Schiff. Es knisterte einladend, als Herr Schalupke über die Reling strich. Die Bordwand des Schiffes war übersät mit verwaschenen bläulichen Schriftzügen. Herr Schalupke schwang sich, das Huhn unter dem Arm, an Bord. Das Schiff legte ab Richtung Horizont. Schalupke las derweil, was er von den Schriftzügen entziffern konnte: Es ging um einen Mann mit Huhn an einem Strand, an dem es nach Tee duftete.


Ludwig Janssen © 27.9.2017

Mittwoch, 26. November 2014

Das Meer, das Meer ...

Das Meer, das Meer
kam von
weit her
war schon
Komet und geht
nicht mehr

Es bleibt.
Es treibt
so manches Ding
darin od. ging
unter und verloren

steht ein Mensch
daran und kann
das Meer als Meer nicht fassen
Könnte, was es ist, schlicht sein
es bleiben und Papier
Schiffchen in ihm
treiben lassen
Ludwig Janssen © 26.11.2014

Freitag, 2. Mai 2014

Zur Gegenwart

Gegenwart ist der zweidimensionale Übergang zwischen zwei dreidimensionalen Zeiten mit Tiefe. Ein Hilfskonstrukt. Überbewertet.
Ludwig Janssen © 26.4.2014

Mittwoch, 9. März 2011

Der Sinnzoldat

Hinterkopf, Denkanstoß, Beule – wie so oft. Doch diesmal wars irgendwie anders. Eben noch rubbelte ich da, wo mein Haar sich mit den Jahren gelichtet hat, über die kleine, erhabene Stelle, schon spürte ich, wie die Haut sich straffte und statt nachzulassen gipfelte der dumpfe Schmerz in einem leichten Stich, bevor er ausklang.

Wieder griff ich nach der Stelle – doch war kein Beule mehr zu spüren. Vielmehr stapfte irgendetwas mit leichtem, aber energischem Tritt auf meinem Kopf umher und stocherte mit etwas Spitzem nach meinen Fingern.

Besorgt lief ich vor den Badezimmerspiegel – da sah ich ihn. Ein grauer, nicht einmal daumengroßer Mann war gerade im Begriff, sich an einer Strähne von meiner Stirn abzuseilen. Schon rutschte er bäuchlings den Nasenrücken hinunter und sicherlich wäre er beim Sturz von der Nasenspitze zu Schaden gekommen, wäre nicht meine Hand gewesen, in der er mit leisem pluff! aufschlug. Auf dem Rücken gelandet, rappelte er sich hoch, strich seinen Rock glatt und salutierte. Ein Soldat!

„Joj,“ meinte er,
„bin ich gefallen von Kopf“ – sein Akzent ließ mich an eine Herkunft aus dem Osten denken,
„in Hand,“
Er nahm seinen Dreispitz vom Kopf, schlug mit kurzem Ruck an sein Knie den Staub von der Kopfbedeckung und setzte sie wieder auf.
„ … In große Hand! Herrjeh, so große Hand!“

„Nun, mit wem habe ich die Ehre?“
Er schob den Dreispitz in den Nacken.
„Ehre? Ich bin nur ein einfacher Zoldat, mein Herr …“
Er zog die Schultern hoch, breitete die Arme aus und grinste:
„Einfacher Zoldat und weiß nicht, woher, und …“ Er kratzte sich das Kinn.
„Wie ich heiße, nun, nicht einmal das weiß ich, mein Herr, mein großer Herr, mit Verlaub, mein Herr, sind Sie …“
Der graue Mann setzte sich in die Beuge zwischen Daumen und Zeigefinger.
„… ein Riese?“

Ich schmunzelte.
„Eigentlich nicht, Zoldat, eigentlich nicht. Allerdings weiß man das nie so wirklich, ob man einer ist, weil Größe bekanntlich relativ ist. Und - Zoldat, eigenartige Betonung, Zoldat mit Zett wie Zar?“
Er winkte ab.
„Sie wissen also nicht, wer Sie sind?“, fragte ich nach und ergänzte: „Wissen außerdem nicht, wo sie her kamen und wie Sie auf meinen Kopf gelangten, stimmts?“

„Nun,“ der Zoldat streckte die Beine aus, „ich muss das nicht wissen, mein Herr, aber ich weiß, dass Sie …“
Akzentfrei. Er winkelte ein Bein an, griff nach dem Stiefel und zog ihn aus.
„… all das wissen sollten – schließlich haben Sie mich ausgedacht!“, stieß er zwischen den Zähnen vor, als er nach dem anderen Stiefel griff. Dazu wackelte er mit den Zehen.

„Ich?“
„Ja, wem sonst gehört der Kopf, aus dem ich …“
„Mir!“
„Na, also!“
„Ha?“
Sie,“ er wirkte ein wenig genervt, „Sie haben mich ausgedacht, die Ausgeburt Ihrer Phantasie bin ich, kurze Schwangerschaft, kleine Beule und - hoppla!“
„Ach?“
„Ja, mein Herr, und nun …“
Er erhob sich von seinem weichen Platz, stemmte die Hände in die Seite und dehnte sich, als litte er unter Rückenschmerzen,
„… wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn sie mich wieder …“
Die Arme in den Ellenbogen angewinkelt zeigte er mir die Innenflächen seiner grauen Hände und ließ die Finger auffordernd spielen.
„Sie wissen schon, aufwärts, bitte!“

„Wie?“
„Nun, Sie haben mich ausgedacht, und so lange sie nicht wissen, wie es mit mir weitergehen soll, möchte ich wieder an die Stätte meiner Geburt zurückkehren und auf Ihrem spärlich behaarten Hinterkopf abwarten, was das Leben für mich bereithält. Also, bitte!“
Wieder die provozierend lässige Geste mit den Händen.

„Wenns hilft …“
Ich hob meine Linke zum Haaransatz und spürte, wie der kleine Mann barfuß über meinen Zeigefinger balancierte und auf den Kopf sprang. Dort machte er es sich gemütlich, legte sich auf die Seite und schien ungestört sein zu wollen, denn anders war das Wedeln mit der Hand nicht zu deuten.

„Schleich dich!“
„Mich schleichen, mit dir auf dem Kopf?“
„Dann bleib zumindest ruhig sitzen, dass ich schlafen kann, bin müde.“

Den kleinen Schläfer auf dem Kopf ging ich in die Küche, brühte mir einen Kaffee auf und dachte über meinen grauen Besucher nach. Für seine geringe Größe hatte er schwer in der Hand gelegen. Womöglich war er aus Metall, Zinn. Ich stellte mir Zinnsoldaten vor, wie ich sie als Junge für meine kleinen Brüder gegossen und angemalt hatte, und ja, er war ein Zinnsoldat. Zinnsoldaten schlüpfen eigentlich nicht aus Beulen, wie man sich von einem Denkanstoß holt. Eigentlich. Hm. Das Ei in eigentlich machte das Wort verdächtig. Ein Ei in einem Wort, das ohne Ei gentlich lautet und von dem nicht klar ist, was daraus schlüpfen würde, brütete man es aus. Eigentlich war in meiner Situation – Mann mit einem jenem entsprungenen Männlein auf dem Kopf - kein hilfreiches Wort. Nein, er war kein Zinnsoldat, legte ich fest. Oben bliebs ruhig. Würde ich nicht vor den Spiegel treten, ließe sich die Existenz des winzigen Gastes vorzüglich leugnen und ich könnte …

Ich hatte mir einen Stuhl vor den großen Spiegel im Flur gestellt, saß mit einem Haferl Kaffee in der Hand davor und betrachtete die Szene auf meinem Kopf. Der Soldat, pardon, Zoldat hatte seine Stiefel wieder angezogen, den Tornister vom Rücken genommen und einige Farben, Pinsel und eine Palette hervorgezogen. Er war damit beschäftigt, sich anzumalen. Dunkelblaue Uniform, weiße Hose, krapprote Kragenaufschläge, den Dreispitz hatte er schwarz angemalt und mit einem weißen Rand versehen.

„Nun,“ blickte er auf und sah mich über den Spiegel an, „haben Sie sich also entschlossen, dass ich mich anmale? Nun gut, ein Anfang ists allemal.“
„Sie sind ein preußischer Soldat …“
„Zoldat, bitte, und Preußen, ach …“ Wieder die wegwerfende Geste mit der Hand.
„Warum nicht Soldat, sondern Zoldat?“
“Weil ich ein Sinnzoldat bin, mein Bester, das haben Sie sich so ausgedacht!“
„Ich?“
„Ja!“
„Warum sollte ich …?“
„Weiß ich das?“
„Ich …“ ich tippte mir an die Stirn, wohl ein wenig zu heftig, denn der Sinnzoldat verlor das Gleichgewicht und verzog einen blauen Strich von der Uniform über seinen eigentlich schwarzweißen Kalbfelltornister, den er leise fluchend abwischte.
„He!“
„’tschuldigung, ich weiß nicht, was ich dabei im Sinn hatte, tut mir Leid!“
„Sinn!“
„Ja, Sinn!“
“Da haben wirs, Sinn, Sie dachten an Sinn, vertauschten, eben weil Ihnen der Sinn danach stand, der Sinn…n“ dehnte er das Wort ins Endlose,“ die beiden Buchstaben und jetzt bin ich hier und ein Sinnzoldat!“
„Was für einen Sinn macht das jetzt?“
Keine Antwort.
„Was machen wir jetzt mit Ihnen, was soll aus Ihnen werden, Herr Sinnzoldat?“
“Begnügen wir uns doch damit, mein Herr, dass es mich machte, mich, genau gesagt, ausmacht und belassen es dabei. Mir gefällts hier.“

Mein kleiner Gast stopfte sich ein Pfeifchen, setzte sich auf ein Stück Zucker, dass ich ihm gereicht hatte, lobte den Duft des Kaffees und bat um Feuer.
Muss ich denn irgendeinen Sinn machen, hm?“
“Auf meinem Kopf?“
„Hmnja, überhaupt.“
„Hm.“

Es klingelte. Vor der Tür wartete die Postbotin mit einem Päckchen.
„Ein Autogramm bitte, hier!“
Sie hielt mit ihr Lesegerät entgegen, tippte auf das Eingabefeld und lächelte mich an. Den Sinnzoldaten auf meinem Kopf bemerkte sie seltsamerweise nicht.
Das Päckchen in der Hand ging ich zurück zum Spiegel – der Mann war verschwunden.
Ob er mir draußen vom Kopf gefallen war, als ich mich zur Unterschrift über das Gerät der Postbotin gebeugt hatte? Doch draußen war nichts zu sehen. Als ich im Begriff war, die Tür zuzuziehen, entdeckte ich ihn. Er lief über den frischgemähten Rasen, unter der Ligusterhecke hindurch zum Weberbachl hinab auf einen Jungen zu, der dort Papierschiffchen zu Wasser ließ und winkte mir mit dem Dreispitz:

„Adieu!“
„Adieu!“
„Ich glaub, er weiß, wie es mit mir weitergeht!“
„Bon Chance, kleiner Mann!“
Er lachte. Doch galt dieses Lachen bereits dem kleinen Jungen, der ihn aufhob und ihn, anstatt ihn sich auf den Kopf zu setzen oder in die Tasche zu stecken, in eines der Papierschiffchen stellte und ins Unbekannte entließ.

Ins Unbekannte?
Wer weiß ...


Ludwig Janssen 5.11.2010