Mit freundlicher Genehmigung durch Rittiner&Gomez, Spiez, CH |
Sagte auch der … ach ja, du weißt. Doch Menschen können nur
an einem Ort existieren und haben nur diese eine Existenz, die sie mit niemand
anderem teilen.
Ratur, auch ein Mensch kann in der Vorstellung anderer
präsent sein, kann wirklich sein, und zwar als Abbild. Eines, das diesem
Menschen ähnelt, ihn jedoch nicht ausmacht. Doch zugleich ist es ein Teil der
Wahrheit, die diesem Menschen zuteil ist.
Auch ich bin lediglich ein Abbild. Doch anders als du eines
ohne materiell verkörperte Entsprechung. Das unterscheidet uns, Mensch.
Doch eint uns die Angst, nicht der sein zu können, als den
wir uns erleben.
Ist diese Angst dieselbe?
Die gleiche, und ja, Ratur, sie ist die gleiche, weil wir in
Frage gestellt erleben, was wir als selbstverständlich annahmen. Wir Menschen
nahmen – und nehmen es an, von wem auch immer, und sei es aus den Wirren der
eigenen Gedankengänge. Der Unterschied, was also macht, dass es nicht dieselbe
Angst ist, sondern nur eine gleiche, ist, dass dir als literarische Gestalt
nichts anderes übrig bleibt, als das als Eigenes zu tragen und spiegeln, was
man dir zuschreibt. Dem Menschen bleibt die Wahl, es anzunehmen, sich zu eigen
zu machen – oder auch nicht.
Der Mensch ängstigt sich, in Frage gestellt zu erleben, was
ihm selbstverständlich ist?
All unsere Selbstverständlichkeit, unser Sehnen nach
übergeordneten, sich selbst zu universeller Ordnung fügenden Zusammenhängen, in
denen wir es uns gemütlich einrichten, unser Sehnen nach Harmonie gleicht einem
Schneckenhaus. Einem Schneckenhaus, in das zurückgezogen wir leben und in dem
wir uns mit uns und der Welt einig wähnen. Dabei bildet sich die Welt um uns
lediglich aus unserer Vorstellung ab, ist, was unsere Sinne uns zu erkennen
lassen von dem, was ist und sein könnte. Ist das Schneckenhaus selbst. Alle
Selbstverständlichkeit ist nicht mehr als ein Schneckenhaus, Ratur, die
Fibonacci-Formel eingeschlossen, in all dessen Drehen und Winden auf eine
kleine Spitze zu, die es der Welt hinhält wie du deinen ausgestreckten
Zeigefinger dem meinen. Mit einem kleinen Wesen darin, das sich ohne dieses
Häuschen und dessen Drehen der eigenen Existenz nicht sicher fühlt.
Und in einem dieser Schneckenhäuser gibt es mich?
In einem dieser Schneckenhäuser, Ratur, finden sich aus den
Teilen jener Welt Wörter und Bilder zu einer Idee, zu Ideen, zu einer
Geschichte mit dir darin.
Dann bin ich …
Eigentlich nichts weiter als ein weiteres Schneckenhaus in
einem Schneckenhäuschen. Eines, dessen Drehen und Entstehen sich in ungezählten
weiteren Schneckenhäusern wiederfindet. Mag sein, dass es sich sogar wieder
findet, vielleicht aber auch zu anderen, ähnlichen Schneckenhäuschen, immer
wieder. Eine, wenn es gut läuft, immer größere Kreise ziehende Spirale.
Dann habe ich, Ratur Lite, im Grunde genommen nichts zu
fürchten.
Ja.
Selbst, wenn ich mich auflöse?
Selbst dann. Weil du entstehst aus Menschen, ihren Ideen.
Und die Menschen mit ihren Ideen?
Wir warten in jenem ängstlichen Innehalten und Furcht, uns
aufzulösen, auf jemanden, der sich vor dem Schneckenhaus niederlässt und singt,
dass alles gut ist und seine Ordnung hat. Auch dann, wenn wir das Schneckenhaus
verlassen. Und tun wir so, schleppen wir es mit uns …
Kann der Mensch ein derartiges Schneckenhaus nicht
abstreifen, verlassen?
Legt er ein altes Schneckenhaus, eine alte
Selbstverständlichkeit ab, trägt er bereits ein neues, Ratur, das sich nach und
nach verfestigt und seine eigenen Kreise zieht. Wieder auf eine kleine, einsame
Spitze zu, die einmal ihr Anfang war.
Wenn ich in den Schneckenhäusern anderer Menschen entstehe,
neu, immer wieder, wenn ich mir selbst kein derartiges Schneckenhaus erschaffen
kann – bin ich dann frei von jeder Selbstverständlichkeit?
In der Tat hast du literarische Gestalt es besser, Ratur
Lite. Mag sein, dass jemand aus dir ein Schneckenhäuschen entstehen lässt, eine
Selbstverständlichkeit, in der er es sich einrichtet. Doch ist es nicht diese
eine Selbstverständlichkeit, dieses eine Schneckenhaus, das dich, Ratur Lite,
ausmacht. Du bist davon frei, denn du, Ratur Lite, du bist viele und - keines.
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