Mit freundlicher Genehmigung durch Rittiner&Gomez |
Mit einem Mal fand Ratur sich wieder auf dem nachtblauen
Sofa sitzend vor, in seiner Wohnung, den Kater auf dem Schoß, doch sprang der
in weitem Bogen hinab und auf die Wand zu. Und im selben Augenblick, da Raturs
Ausruf noch den Raum erfüllte, sprang er hindurch und verschwand, ohne eine
Spur zu hinterlassen.
Ratur tastete zunächst die Wand ab, die seinen suchenden
Händen Widerstand bot, dann sich selbst, fuhr die Konturen seines Körpers
entlang. Er existierte. Hier und jetzt. Doch irgendwo anders existierte er
ebenfalls, das wusste er jetzt, und zwar nicht nur ein weiteres Mal, sondern
ungezählte Male, als Idee, Geschichte. Irgendwo malte ihn irgendwer und ließ
ihn neu entstehen, parallel zu seiner derzeitigen Existenz, die in auf dieses
Sofa, in diese Stadt am Meer stellte.
Ermattet legte Ratur sich auf sein nachtblaues Sofa:
Wer bin ich – hier, jetzt?
Diese Frage hing im Raum. Ratur lag auf dem Rücken und
schaute an die Decke. Erwartete, dass sich dort ein Bild auftat. Eines, in das
er vom Sofa aus hinauf – oder hinab sehen konnte. So wie jenes Bild mit Gerda
darin sich aufgetan hatte. Oder eines mit aufgewühlt wogender See darin sollte
sich auftun, die ihn, Ratur, aus den Farben, mit denen er sich gemalt und
festgehalten gesehen hatte, löste und mit sich fortnahm.
Wer bin ich? Hier, jetzt?
Ratur lag auf dem Rücken und, Michelangelo hätte seine Freude
daran gehabt, hielt seine Rechte, den Zeigefinger wie tastend ausgestreckt
Richtung Decke …
Hier nimmst du einen Anfang, jetzt. Immer wieder neu. Ratur
Lite bist du, und dich habe ich ausgedacht. Gerade so, wie du da liegst und
dich fragst, wer du bist …
Nichts mehr, aber auch gar nichts konnte Ratur Lite aus der
Fassung bringen. Hatte er doch einen Kater sprechen, entstehen und verschwinden
sehen und sich selbst transzendieren und materialisieren an ihm fremden Orten.
Du bist …?
Dein Ausdenker.
Ein Mensch?
Ja.
Warum?
Warum was?
Warum hast du mich ausgedacht?
Du entstandest, Ratur Lite, aus einer Wolke von Ideen. Bist
eine der literarischen Gestalten, die in meiner Vorstellung aufgehen wie Sonnen
und um die ich Geschichten kreisen lasse wie Planeten.
Das hat auch der Kater …
Ich weiß, Ratur.
Entschuldige, Mensch. Bin ich dein Geschöpf?
In gewisser Weise ja, und doch, da du, einmal erdacht,
imaginiert und anderen evoziert, auch ohne mich entstehen kannst, werden und
sein, auch wieder nicht.
Auch der Kater.
Auch der.
Der Kater meinte, dass ich mich an dich zu wenden habe mit
meiner Angst.
Mit deiner Angst, dich aufzulösen in – nichts? Du weiß
nicht, wer du bist, wenn du nicht der sein kannst, als der du selbst dich
erlebst, weil andere dich erleben und deine eigentliche Existenz sich aus
diesem Immer-wieder-neu-Entstehen anderer Geister als dem meinem erklärt?
Ja.
Den Menschen ergeht es nicht anders.
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