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Sonntag, 1. April 2018

Herr Schalupke wartet auf die Propellerkaninchen



Es war einer jener Märztage, an denen das Warten sich anfühlt wie Erwachen. Windstille. Zum ersten Mal seit langer Zeit wärmte die Sonne. Ob er auf sich warten ließe, fragten sich Herr Schalupke und sein Huhn. Saßen unter dem Baum auf dem Hügel und schauten Richtung Süden.
Warten auf den Frühling. Herr Schalupke hatte den Arm ums Huhn gelegt und zog es an sich heran.
"Na? Ob es noch lange dauert?"
"Poock!"
Blau. Blau war, was als Erstes von Süden her Einzug gehalten hatte. Himmelblau, das sich am Horizont vertiefte. Hier und da ein weißes Wölkchen. Dann kam das Grün. Zunächst kaum wahrnehmbar schlich es von Süden heran, lief, einmal losgelassen, über die Wälder, turnte durch Haselnuss und Birke, verschwendete sich über den Wiesen und erklomm knospend den Baum, unter dem Herr Schalupke und sein Huhn saßen. Abenddämmerung ...
"Heute werden sie wohl nicht kommen."
"Pock!"
"Bleiben wir noch ein wenig?"
"Pock!"
Schalupke zog eine Handvoll Weizenkörner aus der Hosentasche, streute sie ins Gras. Eifrig pickend lief sein Huhn um ihn herum. Die Sonne sank, die Welt ergraute, Herr Schalupke schaute nach Süden.
Der Mond stieg voll und rund über den Horizont. 
"Bald, Huhn, bald ist es so weit." 
"Tü." 
Die Nacht würde kalt werden. Herr Schalupke nahm sein Huhn unter den Arm und ging heim. Ins Haus mit Schlafbaum fürs Huhn. Dort flatterte das Huhn von Ast zu Ast bis ganz oben.
Und, als niemand genau hinsah, vielleicht nur du und ich, flatterte auch Herr Schalupke, ein Nachthemd an, hinauf zum Huhn, schlüpfte unter dessen Flügel und machte es sich gemütlich. Das Schlafzimmer des Huhns hat drei gläserne Wände und ein gläsernes Dach. Zum Sterne-Anschaun.
Herr Schalupke lag, die Arme hinterm Kopf verschränkt, auf dem Rücken des Huhns, betrachtete den sternenklaren Himmel. Wartete auf eine Ankunft. Noch war es nicht so weit. Mitternacht. Von Norden stieg ein Geräusch über den Horizont und erfüllte die Nacht. Fffju, fffju ... fffju.
Als ob zahllose Schwingen die Luft schnitten. Wäre da nicht ab und an ein leises Ding! oder ein sonores Dong! zu vernehmen gewesen, man hätte meinen können, dass Wildgänse gen Süden zögen. Im Mondschein blinkte hier und da Bronze auf: Glocken! Die waren auf ihrem Weg nach Rom.
Der folgende Tag bemühte sich um Sonnenschein. Der Winter hatte sich in die schattigen Stellen zurückgezogen und wartete auf den Anbruch Nacht. Stille lag über dem Land. In der Ferne hörte man einen Zimmermann arbeiten. Trieb lange Nägel in die Balken. Morgen würden sie kommen.
Am nächsten Tag, es war ein Samstag, trug Herr Schalupke sein Huhn wieder unter den Baum auf dem Hügel und sie setzten sich auf eine Decke. Schauten wieder nach Süden. Die Sonne hatte den Zenit durchschritten, als sie ein leises Geräusch vernahmen, das sich pft-ft-ft-ft-ft! näherte.
Es klang ein wenig wie winzige Helikopter, das Schnarren kleinster Libellenflügel ft-ft-ft-ft-ft - und, Wunder, auf den ersten Blick mutete es an, als ob sich von Süden her tausende taumelnder Löwenzahnschirmchen auf den Weg gemacht hätten, sich über das Land zu säen.
"Schau!"
"Pock?"
"Sie kommen!"
"Pock!"
Herr Schalupke nahm sein Huhn in den Arm. Dass es nicht auf dumme Gedanken käme und ja keinen Blödsinn machte mit dem, was sich da ft-ft-ft-ft-ft ankündigte und bald auf dem sonnenbeschienenen Hügel ankommen würde, auf dem er und sein Huhn saßen.
!!! FT-FT-FT-FT-FT !!! Was da aussah wie Löwenzahnschirmchen, hatte sich auf Armeslänge genähert und eines schwebte vor Herrn Schalupkes Nasenspitze. Das war kein Löwenzahnsame! Winzige Hasenohren schwirrten und propellerten, und unter jedem hing ein Fellsäckchen mit großen Augen.
Propellerkaninchen! "Herzlich willkommen!", flüsterte Herr Schalupke behutsam, besorgt, dass, spräche er zu laut, sein Atem das kleine Luftschiff vor seiner Nase ins Trudeln bringen könnte. Was nun geschah, macht staunen, ist ein kleines Wunder der Natur. Die Winzlinge landeten:
Plimm-plomm-pada-pluff! tupften sie zu Boden, kullerten durchs Gras und liefen ein paar rasche Tippelschrittchen, ehe sie zu stehen kamen. Klappten ihre Ohren ein. Dabei blieb immer eines der Ohren senkrecht stehen, das andere zeigte zu Boden. Der lange Flug hatte sie ausgezehrt.
Daher sah Herr Schalupke, kaum, dass die Winziglinge gelandet waren, sich flüchtig geputzt, Schnurrhaare und Ohren gerichtet hatten, wie ein jedes Propellerkaninchen in eine Krokusblüte schlüpfte und dort vom Pollen fraß: Pluff! wuchsen sie auf Hummelgröße, purzelten hinaus.
Liefen zur nächsten Blüte, fraßen diese ganz, wuchsen pluff! auf Spatzengröße, hoppelten von einer Krokusblüte zur nächsten, fraßen und fraßen und wuchsen pliff! ploff! pluff! zu einer Größe heran, wie man sie auch von Zwerghasen kennt. Frisch gestärkt machten sie sich ans Werk.
Nun saß Herr Schalupke nebst Huhn zwischen aberhunderten Propellerkaninchen und staunte nicht schlecht, als die aus der Bauchtasche einen Korb zogen, einen "Panier claque", der sich klack! entfaltete und auf ihren Rücken passte. Dann stoben sie in alle Himmelsrichtungen davon.

Dienstag, 14. März 2017

Ein Häppchen November

Heute Morgen, ich stapfte gerade die Weide hoch zum Melkstand, bemerkte ich, wie meine Nase in eine Wolke tupfte. Das fühlte sich schön kühl an und es kitzelte auch ein wenig. "He!", war alles, was mir dazu einfiel.

Ich glaube, dass sie sich erschreckte, denn sie waberte ein Stückchen zurück und hüllte sich in graues Schweigen. "Brauchst keine Angst haben", flüsterte ich in die feinen Nieseltropfen und tauchte nun auch mein Gesicht in sie ein - bis über die Ohren.

Jetzt konnte ich sie auch hören, setzte mich auf einen umgekehrten Melkeimer und lauschte.
Kaum hörbar leise erzählte sie mir, dass der Himmel sie und ihre Schwestern aus den Nebeln längs des Regens herauszitiert und ihnen aufgetragen hätte, sich vor ihn zu schieben.

"Wieso das denn?", fragte ich ebenso leise, wollte ich doch nicht ihre feinen weißen Tröpfchen verwirbeln. Da saß ich also, den Kopf in einer Wolke, und hörte mit offenem Mund, dass der Himmel es einfach leid war, seiner Bläue wegen als einfallsloser Langweiler tituliert zu werden.

"Mahlzeit!" Mehr konnte ich nicht erwidern, denn mein Eimer kippte um, ich purzelte den Berg hinunter und blieb rücklings im nassen Gras liegen. Ein paar Kuhgesichter beugten sich interessiert und wiederkäuend zu mir hinunter, schnauften mir warm ins Gesicht.

Das war alles. Gut, dass sie mich nichts fragten, denn ich hatte doch diesen kleinen Fitzel Wolke im Mund.


Ludwig Janssen © 12.11.2005

Dienstag, 13. Oktober 2015

Koloman Paschulke kommt und geht ins Licht

Koloman Paschulke. Koloman hat heute Namenstag. Wo er herkam, weiß ich nicht. Weiß nur, dass er kam, wie gerufen, als man mich fragte, wer Koloman sei, ob es so einen gäbe, überhaupt, Koloman, wer heißt denn schon so?

Da kam er, Koloman Paschulke, wie gerufen, und ging sogleich los, folgte etwas, das sich ausnahm wie ein Erzählstrang. Ich sah ihn gehen, eine Allee prächtiger Ahornbäume entlang, sah, wie das Sonnenlicht ihm schmeichelte. Koloman ging Schritt für Schritt. Bedächtig setzte er einen Fuß vor den anderen, und das Licht, das Licht – es sah aus, als flösse es mit Koloman die Allee hinab. Zugleich strömte ihm Licht entgegen. Ein viel helleres, als ich es mir auszudenken im Stande war.

Anlandendem Wellenschlag gleich umspielte es seine Füße. Und Koloman? Ging unbeirrt seinen Weg, die Allee entlang, ins Licht hinein, das sich brach an Paschulkes unentwegtem Fortgang, anbrandete, aufschäumte, lautlos durch den Raum wirbelte und sich hinter Koloman ebenso geräuschlos wieder sich schließend verlor. Hinter Koloman Paschulke, der nach und nach und mit jedem weiteren Schritt ins Licht zu erblassen schien. Mit jedem Schritt weiter, den Koloman Paschulke tat, die Allee hinab, schien es, als würden immer mehr Photonen ihren Weg nicht weiter um ihn herum nehmen, sondern geradewegs durch ihn hindurch.

Kolomans Gestalt transzendierte, verlor an Kontrast und Kontur, und es währte nicht lange, dass ein zu Boden taumelndes Blatt der sich mittlerweile herbstlich gold färbenden Allee seinen Weg kreuzte, den transzendierenden Koloman passierte und mit dem sich hinter ihm schließenden Lichtstrom fortgespült wurde. Dem einen Blatt folgten weitere, Koloman selbst folgte weiter niemandem. Koloman, der seinen Weg nahm, wie auch das Licht seinen Weg nahm, Koloman entgegen das eine und sich hinter ihm schließend das andere, wie auch der Erzählstrang seinen Weg nahm mit dem transzendierenden Koloman Paschulke darin – und mit ihm darauf unterwegs.

Koloman, dessen Gestalt sich von Licht durchdrungen verlor mit dem Gedanken, der ihn aufgerufen und auf diesen Weg gesandt hatte, welcher sich mit Koloman in eben jenem Licht verlor, das viel heller strahlte, als ich es mir auszudenken und ihm, ihn, Koloman Paschulke, darin enthalten, mit auf den Weg zu geben im Stande bin …


Ludwig Janssen © 13.10.2015

Samstag, 10. August 2013

Treffpunkt Gartenzaun (eine Fischichte)

Alle Geschichten haben einen Eingang. Da ist wer, der wie ein Tor im Gartenzaun wirkt, oder gerade so, als ob ihm ein, zwei Latten fehlen, im Zaun, ein Zaunkönig vielleicht, jemand, der einlädt: Komm, leg dein Köpfchen an meine Schulter, schließ die Augen und lasse deinen Gedanken freien Lauf: Phantasie, das sind Gedanken wie freilaufende Hühner, frei laufende Hühner schlüpfen durch das Loch im Gartenzaun:

E i n g a n g

Kurz vorm Einschlafen hatte ich der Katz in die großen Kulleraugen gesehen. Nicht nur das, sogar angesprochen hatte ich sie und gefragt, ob sie … Doch sie blinzelte nur und hüpfte von der Fensterbank hinaus in die Mainacht, die nach Gewitterregen duftete und frisch gemähter Wiese.

Ein wenig Nacht später und etwas Wiesenduft weiter war es Tag und ich sah das Brathähnchen. Rote Strümpfe, Wolle wohl und selbstgestrickt, schlackerten um seine viel zu langen, dünnen Beine. Bei jedem Schritt winkelte es ein Bein zunächst an, zog es in Zeitlupe zu Körper hin und streckte es dann ebenso lang wie behutsam nach schräg unten ins Gras, gerade so, als würde es durch Salat … was auch gut möglich wäre, denn womit, bitteschön, soll ein Brathähnchen denn auch erkennen, dass es nicht … du weißt schon. Deshalb konnte es mich ja auch nicht hören, jedenfalls mit den Beinen, so was können nur Grashüpfer. Ich sah ein, dass es aus diesem Grund auch keinen Sinn machen würde, das Brathähnchen darauf anzusprechen, wie surreal es daherkäme, so ganz „ohne“, wie Brathähnchen nun einmal sind - und doch alles andere als kopflos. Obwohl, selbst „ganz“ ist für ein Brathähnchen keine Selbstverständlichkeit. Doch mit genau dieser Selbstverständlichkeit stakste es jetzt durch die Wiese, die Luft duftete nach Gras und der Tag schmeckte ein wenig salzig.

Nichts in die Augen reiben, nur nicht die Augen, dachte ich mir, da kam der Hering auf mich zu, schwamm mir vor der Nase umher, kleine Glitzerkapriole, wie man sie auf der Achterbahn oder von Kunstfliegern sehen kann, und glotzte. Fischaugen sind immer ’n bissi glotzig, findest du nicht? Also konnte er ja nichts dafür. Der Hering schwamm also vor meiner Nasenspitze und glotzte. So nah, dass ich ein wenig schielte. Kennst du das auch? Dann machte der Hering etwas, das ich noch nie zuvor bei einem Fisch bemerkt hatte: Er lächelte! Kannst du dir vorstellen, wie sich das anfühlt? Du bist auf einer Wiese, vor deiner Nasenspitze wedelt ein Hering mit seinen Brustflossen und lächelt dich an, das auch noch tagsüber? Ja, kannst du? Gut, dann erzähle ich weiter.

Das lächelnde Silbergeflutsche vor mir glotzte immer noch. Wie gesagt, kein Wunder, schließlich können Fische nicht anders, das heißt, diese armen Dinger können nicht blinzeln, wie zum Beispiel meine Katz das kann. Aber besser noch als das Brathähnchen haben sie es, denn die wären vielleicht froh, wenn sie wenigstens aus Fischaugen in die Welt stieren könnten, und können noch nicht einmal das. Brathähnchen haben nämlich keinen Kopf, aber das weißt du ja schon längst. Brat. Mir fiel auf, dass dieses Wort sich in diese Geschichte hier geschlichen hatte und sich allmählich breit machte. Es verströmte den Duft von Brathähnchen, zog ihn hinter sich her, denn das Wort war immer einen Ticken schneller als der Duft. Ah, dachte ich mir, dann ist das eine gute Geschichte.
Glaube mir, das stimmt: In guten Geschichten ist das Wort immer, aber nur ein wenig, schneller als Bild oder der Duft, ein winzi, winzi Tickchen nur, dann löst es sich auf - und du weißt nicht, war da jetzt ein Wort - oder war dieses Bild, war dieser Duft nicht eigentlich schon immer da? Kleine Fragezeichnung. So wie hier der Duft von Brathähnchen. Gerade so, nicht lachen, als hätte das Wort einen Furz gelassen. Rose zum Beispiel ist ein Wort, da weiß auch gleich jeder, wie das riecht, wenn es pupst. Das hört man - ein leises, klein geschriebenes pffft – und schon ist alles vollgeduftet. So, jetzt aber wedeln, wedeln, wedeln mit beiden Händen, damit der Rosenduft verschwindet, denn der gehört nicht hierher, hat hier nichts verloren, also braucht er auch nicht zu suchen und wir wedeln ihn zum Fenster hinaus. Na ja, gibt ja kein Fenster auf der Wiese, aber wir beide tun in dieser Geschichte so, als wäre da eines.

Puh! Der Hering ist immer noch da und lächelt, Brat duftet ungestört, das Hähnchen stakste mittlerweile von der Wiese und aus dem Bild, ist wahrscheinlich blind über den Rand der Geschichte hinaus gelaufen und fiel aus dem Rahmen. Nur der Fisch ist noch da, du und ich sind es auch, und irgendwo da draußen in der Nacht, die ein salzig schmeckender Tag ist und eine nach Gewitter duftende Wiese, läuft meine Katz und schnuppert an Gänseblümchen. Nun ja, nur vielleicht, denn ich kann sie ja nicht sehen. Du etwa? Nein? Siehste. Oder besser nicht, siehst’ ja nicht, die Katz jedenfalls. Siehst du den Fisch? Ja? Gut. Dann kann ich ja weiter schreiben.

Ich frage den Hering, den ollen Lächler, ob er sich „Brat“ vorstellen kann, also, ob er sich vorstellen könnte, wie das Brathähnchen … da knipst der sein Lächeln aus, glotzt nur blöde und, ich würde schwören, sogar ein wenig vorwurfsvoll, patscht mir seine silbrige Schwanzflosse rechts, links, flitsche-flatsch um die Ohren und flitzt weg, aus dem Bild, auf und davon. Dabei habe ich doch bloß gefragt. Heringe sind eben leicht eingeschnappt, so sieht das aus. Eigentlich müsste diese Geschichte jetzt so weitergehen, dass ich schreibe, der Hering hätte das Weite gesucht, ohne einen Ton zu verlieren. Das geht aber nicht, denn zum einen ist es so, dass Fische nicht stumm sind, wie man immer sagt und Heringe sehr wohl in der Lage sind, einen Ton von sich zu geben, ja, sie unterhalten sich sogar miteinander – zum anderen war dieser Hering dermaßen sauer auf mich, dass er geplatzt wäre, hätte er nichts gesagt. Nun ist es so, dass Heringsworte sich anhören wie kleine Pupse, denn es sind tatsächlich Pupse, mit denen sich Heringe unterhalten. Kannst du dir also vorstellen, was für ein Geknatter das war, als der Hering, total wütend auf mich, das Weite suchte? So laut war das, wäre ein Moped ohne Auspuff durch diese Geschichte gefahren, du hättest das nicht gehört. Es duftete nicht einmal mehr nach Brathähnchen, so viele Heringsflüche schwaderten heringssilberfluchendgrün durch den Tag, der eigentlich Mainacht war, und über die Wiese mit meiner Katz mit den Blinzekulleraugen darin.

Außerdem suchte der Hering das Weite nicht, er fand es auf Anhieb, gerade so, als hätte er es aus der Hosentasche gezogen. Das Weite steckte im alten Gartenzaun, du weißt schon, an der Stelle, wo die zwei Latten fehlen. Dort verschwand der Hering und nahm diesen Ausgang der Geschichte. Du lachst? Doch, tatsächlich, das ist alles genau so passiert, wie ich es dir hier erzähle, frag’ die Katz, sie ist noch da draußen auf der Wiese, also in der Geschichte, und schnuppert an Gänseblümchen. Jetzt habe ich dir ein Geheimnis verraten, nämlich, dass Geschichten einen Ausgang haben. Eigentlich sind es mehrere Ausgänge, und wenn du magst, kannst du dir einen dazu denken, doch einen davon nehmen sie immer. Du und ich, die Katz, das Brathähnchen (und brat mir einer ’nen Storch, denn der war auch dabei, hast du’s bemerkt?), der Hering, die Wiese mit dem Gewitterregenduft und der Tag, der eigentlich eine Nacht ist, auch die Nacht selbst, alles hat einen Ausgang. Alle Dinge, die beginnen, enden auch.

So, mein Lieb, jetzt kennst du eine meiner Fischichten, hast das Brathähnchen auf der Wiese gesehen, den lächelnden Hering pupsen gehört und bist eine Weile mit mir durch einen Tag im Mai geschwommen, der eigentlich Nacht ist und nach Gewitterregen duftet. Inzwischen ist auch die Katz wieder zurück, sitzt im Mondschein auf der Fensterbank und blinzelt.

Wenn du magst, kannst du ihnen Namen geben, bevor du einschläfst, denn ich habe sie nicht danach gefragt.


Hier ist die Geschichte zu Ende, siehst du?

 
A u s g a n g

 

Gute Nacht!

 

Ludwig Janssen © 31.5.2008

Freitag, 26. Juli 2013

Otussy im Weltraum (Seien’s Phi)

Tiiiiiiiiii LÜ-DI-LÜ-DIiii Liii LÜÜÜiiiLILÜ Liiiiiiiiii – RO – li – ro –li ROOOOOOO Liiiiiiiiiii pfüüü llililililililaliluli i i i !

HAL?

Nichts. Nur

Tiiiiiiiiii LÜ-DI-LÜ-DIiii Liii LÜÜÜiiiLILÜ Liiiiiiiiii – RO – li – ro –li ROOOOOOO Liiiiiiiiiii pfüüü llililililililaliluli i i i ! 
 

Die Anzeige des 4th-D-Reflexibiliators weist den dreißigsten Tog im vierten Zwölftel des zweitausendundachten gregorianischen Kontinenziums aus. 

Hoff Skyles Unterlippe stülpt sich zitternd über ihr modisches Damenbärtchen. 

Eigentlich gehörten MT-Transporter wie die IS Dolphyn mit ihren veralteten Öha-Bajuworen längst recycelt und hatten im Weltraum nichts mehr zu suchen. Mesonentriebwerke mit 0,98 c – wer fuhr schon so was? Die wurden schon seit pointfive GUZ weder gebaut noch gewartet. Antiquierte Liebhaberstücke, sorgfältig instand gehalten von geschickten Bastlern, deren bemerkenswerteste Fähigkeit die zur Improvisation war, hoffnungslose Idealisten mit nicht minder hoffnungslos nachhaltiger Ebbe in der Kasse. 

Ihre Mission drohte nicht nur zu scheitern, die blonde Pilotin wähnte sich am Rande des Wahnsinns. Kaum auszuhalten, dieses Getöse! Selbst das gesteppte lila Inlett des pinken Helms half nicht. Die aktuelle Ladung der IS Dolphyn übertönte sogar die pfeifenden Keilriemen der Bajuworen aus dem Maschinenraum: Kanarienvögel, dreißigtausend quittegelbe Harzer Roller, mussten mit leununleißig Einheiten Feinsthirnse und fünftausend Tonnen Vogelsand von Quorg aus dem wilhelmsten Havenium nach Quark im nadersixtäschen Tiffe-Benum gebracht werden, und man hatte ihr dafür nur 3 Ticktacken Zeit zugestanden! Diese blöden Auswilderungsprogramme des GWF brachten kaum lohnende Aufträge, waren aber besser als die Zuschüsse aus dem Museumsfondue. 

Als ob das nicht schon knapp genug bemessen wäre, zickte jetzt auch noch HAL 900, der BC des evangelischen Transporters der MT-Klasse. Hoff Skyle verzweifelte. Sicherlich war sie Schlimmeres gewohnt, doch wie zum Schlonk sollte sie sich konzentrieren, das dringendst erforderliche Voiß-Rischädölling des BC durchführen können, wenn nicht, bis auf das gewohnte Hintergrundrauschen des PP, absolute Ruhe herrschte? Nicht eine Minute Bordzeit gaben die Kanari Ruhe, und so geriet die eigentlich lächerlich unbedeutende Rejustierung des Navigations-Systems nach dem üblichen Stromausfall der Schrottationskonstanten zur Frage auf Sein oder Nicht-Sein. 

Sie hatte geahnt, dass dieser Auftrag in einem Fiasko enden würde. Schon die Scullatoren Hahmleths hatten ihr die Passage durch den Shakespeare verweigert, weil das Tirilieren der unermüdlichen Dreißigtausend eine bedrohliche Schwingungskongruenz mit dem Protoplasma ihres Zentralgestirns aufwies. Der Umweg durch den mufflonen Staub des pathosen roten Samts Lollyenruhs hatte Kraft und Zeit gekostet, bedeutete weitere fünf Stunden Gezwitscher und Rollen aus den voll aufgedrehten Hälsen der Kanarien-Hähnchen.

Da geschah es: Eine gavinatorische Routine des BC schleifte sich an der DLL mit kartographischem Material Terras fest, HAL 900 registrierte „Kanarische Inseln“, erlitt eine insulane Hyperphonie und setzte aus. Mit ihm zeitgleich versagte das schwere Samtstrahlgetriebe, die Bajuworen heulten martialisch im Leerlauf auf, was jedoch im Tiiiiiiiiii LÜ-DI-LÜ-DIiii Liii LÜÜÜiiiLILÜ Liiiiiiiiii – RO – li – ro –li ROOOOOOO Liiiiiiiiiii pfüüü llililililililaliluli i i i ! der dreißigtausend Vögel unterging, die sich unbeirrt zu sängerischer Höchstleistung anstachelten.

 

HAL?

 

Die Anzeige des 4th-D springt auf den ersten Tog des fünften Zwölftel gK 2008.

 

HAL?


Nichts.

 

Aus dem Laderaum:

 

Tiiiiiiiiii LÜ-DI-LÜ-DIiii Liii LÜÜÜiiiLILÜ Liiiiiiiiii – RO – li – ro –li ROOOOOOO Liiiiiiiiiii pfüüü llililililililaliluli i i i !

 

HAL?

 

HAL!

 

Die IS Dolphyn quert inzwischen das RZK des Blahneten Terra, Commander Hoff Skyle beugt sich schluchzend über die Konsole des Steuergerätes. Zwanzig Lagen Noppenfolie schirmen das Justierungsmikro behelfsmäßig gegen die Gezwitscherwolke ab.

 

HAL!

 

Keine Reaktion, doch Skyle bietet ihren letzten Klacks Sanftmut auf und säuselt auf den BC ein: "Ist nicht alles Insel, HAL?" "Nein!", schnarrt es aus dem Lautbrecher, "Wo ist hier das Wasser?" Was, HAL, denkt Skyle sich ihr Teil und nimmt sich vor, ab jetzt konsequent auf das neue Modell zu sparen. Niemals hätte sich nicht auf dieses günstige gebrauchte aus der boküsianischen Küchenwaage einlassen dürfen.

Fonk! Alles Fonk! Börz, Zifix und Snuns.

Hoff Skyle ist sauer. So richtig sauer. Funken sprühen von den Spitzen ihres zu kosmischen Fusilli spiralisierten Gelocks. Sie nimmt den BC vom Netz, schaltet, jetzt lediglich von weiblicher Intuition geleitet, das Licht im Laderaum des Transporters aus und scheuert manuwell. Eine entspannte Minute lang bläht sich die Stille des Weltraums im Innern des Transporters auf zu einem schweigenden Koloss, dann dreht Skyle den Zündschlüssel:

Die durchrutschenden Keilriemen der Bajuworen kreischen herzzerreißend – die IS Dolphyn nimmt Fahrt auf.
Kurs auf Ti-Rola im itakischen Quadranten.
 

Tanken.
 
Ludwig Janssen © 30.4.2008
 

Legende:

BC = Bordcomputer

c = Lichtgeschwindigkeit, ca. 299.792.458 m/s

DLL = Dynamic Link Library

GUZ = Galaktische Umlaufzeit des solaren Systems „1“(bei 220.000 m/s), auch MWR (Milkyway-Rotation)

GWF= Galactic Wildlife Fund

HAL 900 = sehr frühes Vorläufermodell des HAL 9000

IS = „Interstellar“, veraltetes Kürzel aus der Zeit vor der technischen Konsolidation mutualer Wurmlöcher

MT = Megatyles-Transporter, Ladegabizuspät nicht über 2000 Bruttogeschwistertonnen

PP = Pig Peng

RZK= Raum-Zeit-Kontinuum