Ludwig Janssen © 27.2.2006
Lyrische Prosa, lyrische Klangwelten, Slamtexte, Piktolyrik, Lyrik - das Wort, Sphüngs, Zirkelschneck und andere freischwurbelnde Absonderlichkeiten, grenz-
und kopfüber ...
Mittwoch, 7. September 2022
Regen in Worten
[Regen besteht aus Tropfen. Vieles besteht aus Tropfen und wird mit einem einzigen Wort belegt. In der Sprache der
Uanoupi-Indianer am Amazonas gibt es kein Wort für Regen, nur 25 Namen für die ersten Tropfen, die das Lebewesen
treffen und 25 Worte für die letzten, die ein Lebewesen treffen. Keines dieser Worte hat eine Bedeutung, die unserem
"nass" entspräche, es finden sich Übersetzungen wie "trinken", "trunken", "erzählen", "berühren" und "erinnern".
Dabei wird durch die Vorsilbe festgelegt, warum sie (die Tropfen) treffen: "ou" zeigt an, dass das Wesen schon
draußen war, als es regnete, "an" hingegen zeigt an, dass das Wesen in den Regen hinaus ging. Umgekehrt, also für
die letzten Tropfen, zeigt "uo" an, dass das Lebewesen draußen im Regen steht, wenn es aufhört, "na", dass es in
einen Unterschlupf findet. Alle anderen Regentropfenereignisse werden mit den Worten für warm und kalt belegt und
mit "luha no uwipi" = "was geschieht" zusammengefasst. Das Ende des Regens benennen sie mit "domo kun", was
soviel wie "Schweigen" heißt. Die Unaoupi pflegen, und das besonders, wenn sie berauschende Nüsse kauen, Blätter,
Insekten, Sternschnuppen, Guppies, Mücken und nicht zuletzt das, was wir Schicksal nennen, mit den Namen für diese
Regentropfen zu benennen und auch diese Geschichte eines weißen Mannes. Dann lachen sie.]
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