Mit freundlicher Genehmigung durch Rittiner&Gomez, Spiez, CH |
Die Strahlen der Sonne tasteten durch die Kühle des Morgens
nach Millas geschlossenen Lidern. Sie erwachte. Rieb sich den Schlaf aus den
Augen. Was für ein seltsamer Traum. Milla stand auf und sah nebenan nach Tarik.
Das Sofa war leer, Kissen und Decke lagen auf dem Fußboden. Von Tarik keine
Spur.
Milla eilte in die Küche. Der Teller war leer, das Kärtchen
„Großvaters Garten“ lag daneben. Die Tür von der Backstube zum Garten stand
offen, und so wunderte Milla nicht, dass auch vom kleinen schwarz-weißen Kater
nichts zu sehen war. Als Milla die Tür zum Garten zuzog, fiel ihr Blick auf den
See. Der lag da, ruhig wie immer, und von den winzigen Wellen warf sich
reflektierter Sonnenschein in den jungen Tag wie eine längst schon erzählte und
doch immer neue Geschichte, die es jedem zu erzählen galt, der zuhören mochte.
Die Torte mit dem Pflaumenbaum darin lieferte Milla noch am
selben Tag aus. War die junge Frau zwar noch voller Zweifel, so hörte ihr
Zukünftiger umso aufgeschlossener
zu. Milla sah, wie er die Torte mit aufmerksamem Blick betrachtete und nach dem
Gedicht zu suchen schien, das ihr innewohnen sollte wie ein Segenswunsch, der
nicht nur dem Paar und seiner jungen Liebe galt.
Aßen
die Menschen von der Torte, würden sie sich an die Liebe erinnern. Wie an eine
verloren geglaubte Heimat, zu der es sie zog. Einen Großvater vielleicht. Wie
an etwas, auf das sie lange gewartet hatten und das nun in ihr Leben Einzug hielt.
Auf einem Esel, vielleicht. Vielleicht aber auch in Gestalt eines Stückchens
Torte, das ihnen auf der Zunge verging. Wieder verloren ging, in jenem
köstlichen Moment gelebten Erinnerns.
Kaum
dass Milla sich wieder in ihr Fahrzeug gesetzt und tief durchgeatmet hatte,
wusste sie die Geschichte um das Paar und dessen Verlobung hinter sich und dem
Vergessen preisgegeben. Stunden geschäftiger Routine vergingen. Mit der
abendlichen Ruhe stieg in Milla ein Gefühl der Verlassenheit auf. Der Mond ging
auf über ihrem Garten und begab sich auf seinen nächtlichen Gang um das Drehen
der Erde. Milla stand am Fenster der Backstube und sah ihm dabei zu.
‚Gerade so‘, ging es Milla durch den Sinn, ‚hätte ich es mir
erdacht, wenn ich das könnte.‘ Ein schwarz-weißer Schatten hüpfte vom Garten
her auf die Fensterbank und eine weiße Pfote tupfte ans Fenster. Das Katerchen!
Rasch öffnete Milla dem kleinen Gast. Der sprang mit leisem Miu! hinein und
schmiegte sich purrend um Millas Beine. Die nahm ihn hoch auf ihrem Arm, setzte
sich auf das Sofa aus dunkelgrünem Plüsch. Als sie sich setzte, berührte ihre Hand etwas
Kühles. Eine Zwetschge. Die konnte sie nicht übersehen haben, als sie in der
Früh die Schlafstätte ihres jungen Gastes aufgeräumt hatte. Versonnen hielt
Milla die Frucht in ihrer Hand, polierte sie an ihrem Pullover und erkannte auf
ihrer dunkelblauen, violetten Haut das Abbild eines nächtlichen Sternenhimmels,
über den in großer Höhe dünne Wolken zogen wie ferne Sternennebel. Tarik. Wenigstens ein Tarik war ihr
geblieben, seufzte Milla. Was wohl aus dem Raum geworden war, zu dem sie sich
geträumt hatte? Ob dessen Sterne noch leuchteten?
Milla ließ ihren Blick aus dem Fenster über den klaren Nachthimmel
schweifen und lächelte.
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