Die vergangene Nacht war eine sternenklare. Das Universum
dehnte sich unaufhaltsam aus. Barg in sich das Drehen der Galaxienhaufen mit
dem Drehen der Galaxien und irgendwo darinnen die Milchstraße mit uns beiden an
ihrem Rand. Am späten Nachmittag treffen wir auf einander.
Du sitzt vor mir auf der Bettkante und ich sehe, dass du Angst
hast. Von Unruhe erfüllt bist. Du passierst eine schwere Zeit. Alles Vertraute des Augenblicks
fällt von dir ab und dein Verstehen deiner selbst, mit dem du dich selbst
verstehst und dein Bild der Welt entwirfst, wirft schon lange nicht mehr mit Selbstverständlichkeiten
um sich. Zu dir setzen darf ich mich und ich höre dir zu. Weil ich weiß, wie
gut das tut, wenn ein Mensch seine Verzweiflung einem anderen in die Arme legen
kann. Der die dann hält, aushält, mit aushält. Sie nicht abwehrt und wortreich
aus dir und der Welt zu schütteln versucht wie ein nasser Hund.
Da ist ein missgestaltetes Kind. In der vergangenen Nacht
geboren als dein Bruder. Wer soll sich um das Kind kümmern? Du bist schon so
alt. Du musst telefonieren, unbedingt. Um Gewissheit, um Hilfe. Da sind Balken,
die du aus dem Weg räumst und darunter fandest du verkohlte Leichen. Wir beide
gehen ein paar Schritte. Der Raum, den wir durchschreiten, Hand in Hand, ist
ein Zeitraum. Durch deine Jugend gehen wir und finden in eine Bombennacht des
zweiten Weltkriegs. Ein Kind hier unter dem rechten, eines unter dem linken Arm
und eines auf dem Rücken, das seine Arme um deinen Hals schlang, hetzt du von
der obersten Etage die Treppen hinab in den Keller. Wieder und wieder. Die
waren so schnell da, da gab es keinen Alarm, sagst du. Die Stadt brennt. Auch das
Kinderkrankenhaus, in dem du einen Teil deiner Ausbildung absolviertest. Die
Kinder alle gerettet. Doch am nächsten Morgen auf den Straßen dann die Toten.
Der Junge, kaum siebzehn Jahre alt. Ob du unter den Kindern im Krankenhaus auch
missgestaltete gesehen hast, frage ich dich und du nickst. Deine Verzweiflung
ist gewichen. Du trauerst. Wir trauern gemeinsam. Wie kann das sein, fragst du,
dass so etwas in deine nächtlichen Träume findet, dich in den Tag hinein verfolgen
und quälen kann. Ein lang verschütteter Alptraum war das, entsetzlicher Teil
deines Lebens, durchlebt und verdrängt, weil er dem Weiterleben im Weg stand. Jetzt,
wo die Schranken fallen, mit denen du das Entsetzen aus deinem Leben sperrtest,
wieder frei und übervoll unbewältigten Schreckens.
Lange, sehr lange Zeit, nachdem der Urknall ein Loch ins
Nichts gerissen und es mit einem Universum erfüllt - und dieses Universum sich so
weit abgekühlt hatte, dass Protonen und Neutronen zueinander finden und die
so entstandenen Atomkerne sich Elektronen einfangen konnten, entstand mit
diesem Geschehen die kosmische Hintergrundstrahlung. Als etwas, das immer
präsent ist, wenn wir ins All hinaus lauschen nach den Anfängen des Universums.
Wenn es besonders still sein soll, dröhnt das Rauschen in den Ohren.
Ludwig Janssen ©
17.3.2018
2 Kommentare:
Sehr berührend beschrieben.
danke schön.
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