Mit freundlicher Genehmigung durch Rittiner&Gomez, Spiez, CH |
Ein breiter Priel hinderte Ratur am Fortkommen. Hier. Hier?
Warum? Warum … nicht? Ratur ging in die Hocke. Weich und kühl der Schlick unter
seinen Füßen, zwischen den Zehen. Der Horizont hatte sich um Raturs Gestalt
gelegt. Wo Ratur auch hinsah – er schien in jede Himmelsrichtung gesucht gleich
weit entfernt, schien zum Stillstand gekommen. Über sich das strahlende Blau
des Himmels setzte Ratur sich nieder, ließ sich hintenüber fallen und lauschte
dem Wind, der über ihn hinwegstrich.
Kaum merklich hatte das Wasser zu steigen begonnen, kam das
Meer zurück, leise, ganz leise. Umspülte kalt den Rücken. Für einen Moment, nur
für einen Moment, stockte Ratur der Atem. Eine Schar Säbelschnäbler floh plüüüiiiit! von seewärts das steigende
Wasser und ließ sich rings um Ratur im flachen Wasser nieder, das sie, die
Schnäbel wie Sensen durchs Wasser streichend, nach Muscheln, Würmern und
Schnecken durchsuchten.
Ob es wohl Menschen gäbe, die das Wesen literarischer
Gestalten als das ihre annehmen? Also, anders als jene, die eine Geschichte wie
die seine weiterdenken und ihn als literarische Gestalt zumindest für eine
Weile unsterblich machen, eine literarische Gestalt – verkörpern? Eine
besondere Form der Inkarnation. Und er, Ratur Lite, könne, derart zugelassen
und aufgenommen, Mensch werden, aus Fleisch und Blut, sein Wesen in einem
anderen geborgen – wie eine Seele – unauffindbar und doch das Ganze
durchdringend wie ein Ruf, eine noch zu erzählende Geschichte. Gerade so, wie
auch er einem Menschen und dann wieder aus vielen heraus entstanden und in die
Welt entlassen worden war. Spiel. Windhauch. Das Wasser stieg.
Und stieg. Nahm von dem Blau seiner Hose und dem Titanweiß
seines Hemdes, zog eine sich verlierende Spur dem Küstensaum zu. Raturs Äußeres
blich aus, zog mit dem Wellenschlag und verblasste. Das Wasser reichte ihm nun
bis zu den Ohren. Ratur lag, den Blick im Himmelblau, spürte dem Spiel der
sachte aufrollenden und dann wieder weichenden Wellen in seinem Haar nach und
streckte suchend, Michelangelo hätte seine Freude daran gehabt, den Zeigefinger
aus in den wolkenlosen Himmel.
Unaufhaltsam: Das Weiß … Wie Morgensonne spürte Ratur es in
sich aufgehen, erstrahlen und Raum greifen. Das Wasser begann, über ihn hinweg
zu streichen. Alle Farben Raturs hatten sich dem Spiel der Strömung ergeben,
waren Meer geworden. Nun folgten die Konturen. Lösten sich aus ihrem
Zusammenhang und, einem tiefen, letzten Ausatmen gleich, aus der Umschreibung
seiner literarischen Gestalt. Schwangen für eine Weile mit dem Seetang, bis
letztendlich auch sie losließen und gingen, mit dem Wellenschlag gingen, mit
der sich wiegenden Dünung.
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