Samstag, 2. Januar 2010

Zwischenruf

Ein Zwischenruf wird eingeworfen, gerade so wie eine Münze - dabei entscheidet sich oder ist längst entschieden, ob in einen Automaten, einen Brunnen oder einen Briefkasten. Was geschieht mit all den Zwischenrufen, die Sondermünze sind oder bissi rostig, die nicht schwimmen können oder nicht wunschbrunnenkompatibel sind, unfrankiert, ohne Angabe des Absenders oder gar mit unleserlicher Anschrift versehen?

Was, wenn ein Zwischenruf, einmal eingeworfen, stecken bleibt?

Dann: Wenn ein Zwischen ruft, drehen sich die Menschen nicht einmal um, und wenn, nach anderen Menschen, denn sie meinen zu wissen, dass es ein Zwischen nicht gibt.

Frage doch einmal auf der Straße eine beliebige Zahl Menschen, was ein Zwischen ist - sie werden seltsame Antworten bereit halten, seltzahme Antworten, die ihnen geheuer sind, vertraut, die schon lange Zeit mit ihnen im Käfig lebten oder willig an der Leine führen ließen, die herkommen auf Pfiff.

Viele werden "weiß nicht" antworten, sich abwenden, weitergehen, sich an die Stirn tippen oder, wenn sie Holländer sind, an die Wange. Oder sie werden fragen, was genau denn ein Zwischen sei, gerade so, als wüssten sie’s und wollten nun ihrerseits prüfen, ob ihr Gegenüber weiß, was sie wissen. Ein paar werden auch sagen, dass es das Zwischen nicht gibt, überzeugt sein - felsenfest - mit dieser Behauptung Recht zu haben. "Felsenfest" - das Zwischen spielt darin Verstecken.

Zwischen mögen sie nicht, die Menschen. Weil sie noch nie eines gesehen haben. Weil noch nie eines geheuer war, in Käfigen lebte oder auf Pfiff angerannt kam, die Zunge aus dem Hals hängend Männchen machte.

Die Biologie des Zwischen ist unbekannt, daher möchte ich von dem ausbreiten, was ich Zwischenrufen entnahm die mir zu Ohren kamen und dazwischen hängen blieben:

Ich habe mir gedacht, überlegt und gefaltet, dass ein Zwischenruf eigentlich unsichtbar sein muss oder zumindest unscheinbar, denn schließlich ist das Zwischen selbst unsichtbar.

Das Zwischen nistet jenseits des Erkennens. Dort legt es Eier, brütet sie aus und versorgt seine Brut mit Dingen, die es sich aus dem Diesseits des Erkennens fängt. Hierzu schlüpft es, einem Zaunkönig gleich, der eine dem Menschen scheinbar undurchdringliche Weißdornhecke passiert wie nix, durch die Grenze des Erkennens.
Diese auch "Heisenbergsche Unschärferelation" genannte Grenze ist die Grenze zum Kleinen, ist ein Bereich, in dem die Dinge sich aufzulösen scheinen, und hinter dem es keine Dinge, sondern nur mehr Wellen geben soll, Energie und jede Menge von dem, was wir uns nur vorstellen, das wir jedoch weder begreifen noch anfassen können, obwohl sich alles, selbst das Größte, daraus zusammenfügte und Bestand hat.

Das Zwischen also hat sein Nest hinter dieser Grenze. Wenn es sich durch diese Heisenbergsche Weißdornhecke* schlingelt und auf unserer Seite ankommt, also eigentlich in uns, im Hirnkastl, Kappes oder der Rübe, wie wir den Raum nennen, der unser Vorstellungsvermögen begrenzt (So etwas wie ein Tresor, oder eben eine Bank, man kann dort einzahlen, abheben und pleite gehen, ohne dass mans zeitig merkt) - also, wenn das Zwischen bei uns ankommt, ist es zwischen den Dingen.
Und das ist das Bedeutendste, Wichtigste und Beste überhaupt, was das Zwischen macht, denn dadurch macht das Zwischen, dass die Dinge so sind, wie sie sind, dass die Welt so ist, wie du und ich sie sehen und anfassen können.

Das Zwischen macht, dass alles, was Materie ist, nicht zu einem riesigen Klumpen mit Nichts drumherum verklebt. Das Zwischen ist zwischen den Quarks, ist zwischen den Elektronen und zwischen den Elektronen und den Atomen, zwischen den Molekülen. Das Zwischen macht, dass ein Flugzeugträger so groß wie ein Flugzeugträger ist und nicht so groß wie ein Stecknadelkopf (und dabei genauso schwer).

Das Zwischen macht also Raum, und zwar den wichtigsten Raum, einen, in den unsere Raumfahrer niemals gelangen können - obwohl er doch mitten in ihnen drin ist, genau so wie in dir und mir und in allen Dingen: den Zwischenraum!

Das Zwischen macht, füllt den Zwischenraum! Es ist, so sagt man, dazwischen, immer, immer, immer.
Das Zwischen ist da! Dazwischen ist also, weil wir so viele Gedanken brauchen, um es erfassen zu können und weil das Zwischen es zugleich mit den Dingen bis an die Grenzen des Universums aufbläht, ein gedankenschweres Wort. Zwischendurch ebenso.
Zwischendurch ist wesentlich größer, bedeutender und langwieriger, als das von gedankenlosen (nicht gedankenverlorenen!) Menschen hastig hingeworfene Wort. Nur, weil das Zwischen und sein Durch darin sind.

Grenzen grenzen ein, meinst du, sie umschließen. Was mit der anderen Grenze ist, fragst du mich? Ja! Wie es eine Grenze zum Kleinen gibt, die unser Erkennen daran hindert, alles zu erfassen, so gibt es auch eine Grenze zum Großen, die für unser Erkennen ebenso undurchdringlich ist, weil es sich darin verliert wie ein Tropfen Blut im Pazifik. So einen Blutstropfen sieht man anfangs noch, dann löst er sich auf und ist nicht mehr zu sehen. Haie können ihn noch rausschmecken, sagt man, doch auch das hat ein Ende. Das Große jedoch nicht, jedenfalls keines, dass wir uns mehr als nur vorstellen können, und Vorstellung ist nicht Erkenntnis, ist Idee, manche sagen Glaube. Da verlässt uns irgendwann sogar die Kraft, die Vorstellungskraft, mit der wir uns Dinge entstehen und für kurze Zeit sein lassen, die wir nicht erkennen und wissen können.

Das Zwischen hat auf dieser anderen Seite sein Nest.

Du meinst, dass das nicht möglich ist? Du sagst, dass das Zwischen sein Nest auf der anderen Seite hat, auf der anderen Seite jenseits der Grenze des Erkennens?

Hast du schon einmal ein Nest gesehen? Stelle dir ein Nest vor, umgeben von der Grenze des Erkennens - rundherum diese Grenze, eine Grenze, von der du nicht genau ausmachen kannst, obs nun die Grenze zum Kleinen oder die Grenze zum Großen ist, die dort Grenze ist, und mittendrin, also in der Mitte: Das Nest des Zwischen. Das Nest des Zwischens ist also ebenso jenseits der Grenze des Erkennens, wie es zugleich inmitten des durch diese Grenzen bestimmten Raum, eines Zwischenraums(!) ist.

Darin ein Ei.
Darin alles, was wir Welt nennen oder Weltraum oder Grenze oder Zwischen oder Zwischenraum.
Auch du und ich.

Wir sind Zwischen!
Wir leben in Zwischenräumen!
Wir sind sowohl diesseits wie auch jenseits der Grenzen unseres Erkennens!

Okay. Jetzt dürfte das mit den Zwischenrufen auch klar sein, hm?

Und das alles nur, weil ich kraft meines Vorstellungsvermögens das Zwischen als kleinen Vogel mit Nest entstehen lassen und es kraft deines Vorstellungsvermögens für eine Weile so sein und bleiben konnte.

Nun ja, nicht ganz. Es ist sowieso da, das Zwischen, das weiß man, auch ohne seine Vorstellungskraft erschöpfen zu müssen.

Und Gott steht jetzt vor einem Automaten, einem Brunnen oder einem Briefkasten und fragt sich, welche Taste er drücken soll, ob er sich wünschen soll, wunschlos glücklich zu sein, oder auch nur, ob er seinen Brief mit der korrekten Anschrift versehen und ausreichend frankiert hat, wenn überhaupt.

Ludwig Janssen, 2. Januar 2010

*Weißnichtdorn? Piekt Unwissenheit?

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