Mittwoch, 7. Juni 2023

Das Wehrlose einer Kritik


Einen kritischen Kommentar zu einem Text zu verfassen, der auf einem Forum wie [...] veröffentlicht wurde, ist ein gewagtes Vorhaben, zieht man sich doch nicht nur den Unmut des Verfassers zu, sondern auch den seiner Entourage. Sofern der Verfasser sich einen solchen Hofstaat aufgebaut hat, also Wert legte auf Schranzen, Buckelkratzer, Rosettenschlüpfer und Lippenleser - selbst all dies den anderen war (ein übrigens billiges Unterfangen, sind doch anstrengende Charaktereigenschaften wie Integrität und Sachlichkeit eher hinderlich und somit ihr Fehlen von Vorteil), hat man mit einer Vielzahl von Anfeindungen zu rechnen.

Solche Anfeindungen sind immer auf die Galerie zu geschrieben, auf der man diejenigen weiß, mit denen man über PN in Verbindung steht und die sich bereits empörte, diejenigen, die mit dem Verfasser des kritischen Kommentars ein Hühnchen zu rupfen haben möchten und dann noch die paar Armseligen, die zwar selten einen Grund erklären können, jedoch gerne einen Anlass geboten bekommen, sich als moralisch Erhabene strafend profilieren zu können. Selten wird die Kritik angegriffen, meist der Kritisierende. Das reicht bis hin zu Diffamierungskampagnen, habe ich hier zur Genüge erleben müssen. Hierzu schämen manche Ehrenmännchen und -weibchen sich nicht, sich darin zu entblöden, in eigens hierzu erstellten Texten zum Kritiker-Bashing zu ermuntern. Bei solchen sich einander bestätigenden Ausgrenzungen eines Anders- hier: Querdenkenden schütten die Belohnungszentren des Kleinhirns stimulierende Substanzen aus.

Ich habe daher die begründete Phantasie, dass einen kritischen Kommentar unter einen Text der sich stetig lausenden und umkuschelnden Autoren zu platzieren in etwa gleichzusetzen ist mit dem Unterfangen, im Anzug durch einen Swingerclub zu flitzen und zu fotografieren, oder, auch hier nur spekuliert, das jedoch lebhaft, mit jemandem, der im Darkroom eine Taschenlampe oder gar das Licht anknipst.

Dabei (deswegen?) steht der kritische Kommentar mittlerweile ohnehin auf der roten Liste, ist vom Aussterben bedroht und wird in täglich schwindende Reservationen zurückgedrängt. Weil nämlich der kritisch Kommentierende etwas macht, was oft genug der Verfasser des kritisierten Textes selbst versäumt zu realisieren: Er stellt sich und seinen Gedanken zur Diskussion, exponiert sich und sein Denken. Ein Akt der Wehrlosigkeit. Ist doch die Kritik selbst ebenfalls ein Text.

Nun ist es bei einem Literaturforum, wie [...]  eines ist, nein, sein möchte, nein, Wunschdenken, also: was [...]  nie werden wird, aber denen, die so was brauchen, sein soll -… ist es also so, dass kaum jemand wirklich ein Kritiker ist. Kaum jemand wird den zehn Geboten für Literaturkritiker gerecht, die Marcel Reich-Ranicki aufstellte, erst recht nicht dem zehnten: „… Du sollst nicht begehren, selbst zu dichten …“

Ich selbst bezeichne mich gerade deswegen nicht als Kritiker. Doch verfasse ich Kritiken mit der Gewissheit, nicht unbedingt mich selbst, aber meine Denke und mein Schreiben in Frage gestellt zu lesen zu bekommen. Denn wie nach Nietzsche der Freund dem Einsamen der Dritte ist, so ist dies, was das Schreiben angeht und dessen Entwicklung, der Widerpart dem schreibenden Einsamen wie ich einer bin.

Eine Empfehlung, die ich abschließend mir selbst und denen, die sich in dieser Kolumne verstanden fühlen, mit auf den Weg schreibe ist, Swinger-Clubs und Darkrooms zu meiden, und, gerät man doch hinein, zumindest Vorsorge zu treffen, hier: Keine bleibenden Eindrücke festhalten und nie, nie das (also dein!) Licht anknipsen.

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