Donnerstag, 21. Januar 2021

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Am Ende der Krise fand ich mich als auf das Wesentliche beschränkte Existenz. In einer Auster. Embryonalstellung.

Alle Sinne waren mir geblieben. Die Auster lag leicht geöffnet in einem Bett aus Sand. Etwas Meerglas und ein knorriges Stück Treibholz rundeten das Ambiente ab.

Da lag ich also, in eine Auster gekuschelt, und spürte in die Welt. Ihr Perlmutt war warm und glatt. Ich schmiegte mich hinein. Mir war, als würde sie sich ein wenig mehr schließen. Aus Ihrer Tiefe vernahm ich ein Summen: "Mmm..." Darin kam ich zur Ruhe. In meiner Auster.

Zu einer im Mondlicht gestrandeten Nachtstunde erkundete ich die Umgebung der Auster. Ganz ruhig lag sie da, nahezu geschlossen. Als ob da noch Leben in ihr wäre. Doch nur meine aufs Wesentliche reduzierte Existenz war in ihrem Inneren. Vielleicht genügte das.

Jemand hatte das Arrangement in ein Goldfischglas drapiert. Hier, so, wirkte es wie ein Raumschiff. Vielleicht sind viele solcher Raumschiffe unterwegs. Behutsam strich ich über ihre karstige Hülle. Dachte an das "Mmm...!" in ihrem Innern - und kehrte dort hinein zurück.

In einer der nächsten Nächte, mondlos und sternenklar, verließ ich wieder die Auster, über ihr raues Äußeres zu streichen. Ich bemerkte, dass sich an einer Stelle das Karstige zurückgezogen hatte. Eine perlmuttfarbene Fläche in Form eines Auges schimmerte im Licht der Sterne.

Ich hielt inne. Wessen Inne? Vielleicht meines, versunken in die Betrachtung des Auges. Ab und an ein Blinzeln. Die Sterne zogen ihre Bahn. Das Summen aus dem Inneren der Auster gewann an Intensität und Variation. Ein Lied? Mag sein. Ich hielt still, hielt Stille, lauschte.

Eine sonderbare Schwäche wohnte mir inne. Mattigkeit, auf die kleinste Anstrengung hin. Müdigkeit. Das Bedürfnis, zu schlafen. So zog ich mich, wie schon gesagt auf das Wesentliche beschränkt, in die Auster zurück und schmiegte mich in ihr perlmuttenes Innere. Schlief ein.

In einem Goldfischglas, in einer Auster schlafend, auf das Licht der Sterne zu reisen. Ins Dunkel des Universums hinaus, in dessen Kälte hinein. Die Auster barg all mein Wesen. Sie sang sphärische Melodien, in die hinein wir uns hüllten. Sie hielten uns warm und geborgen.

Als ich erwachte, bemerkte ich, dass eine schillernde Hülle sich um mich gelegt hatte. Hauchdünn, doch starr. Mich schauderte. Auf diese Rührung hin Craquelés. Die schillernde Hülle fiel ab von meinem Wesen. Ich fürchtete mich, wieder - und für längere Zeit - einzuschlafen.

Und doch - jene maßlose Schwäche, die sich in mir breitgemacht hatte und jede Faser meines Leibes entkräftete, wirkte sich bis in meine auf das Wesentliche reduzierte Existenz aus. Ermattet ertrank ich in anbrandender Müdigkeit und sank auf den Grund abgrundtiefen Schlafs.

Mein Körper - fern. Treibholz, irgendwo hinter dem Horizont. Schwindel, Schwäche, ein Immunsystem am Anschlag. Meine aufs Wesentliche reduzierte Existenz geborgen in einer Auster, gehüllt in Wohlklang, wärmende Geborgenheit und in mit jedem Atemzug dicker werdendes Perlmutt.

Mir träumte, gefangen in einer Perle am Hals einer fremden Dame zu baumeln. Deren Wesen mir so fremd war wie ihr das meine. Irisierendes Perlmutt hinderte mich, mein Wesen zu entfalten. Verlieh mir Wert, der nicht der meine, der mir nicht zu eigen war. Zur Schau gestellt.

Nicht der Traum hielt mich gefangen. Mein Körper, Treibholz, dümpelte in einer fernen Dünung. Meine aufs Wesentliche reduzierte Existenz befand sich, in einem Goldfischglas durch Raum und Zeit treibend, in einer Auster. Einer Auster, die nachts den Sternenhimmel betrachtete.

Warum, woher das Perlmutt? Weder dem wohlklingenden Gesang der Auster entsprang es, noch dem natürlichen Trieb aller Austern, Fremdkörper abzukapseln. Wars jene bodenlose Schwäche, die meinem Denken über alles Körperliche hinaus zusetzte, es löste, auflöste? Mich abkapselte.

Schufen jene bis ins Mark reichende Müdigkeit und der tiefe Schlaf, den sie nach sich zog, das Perlmutt, das mein Wesentliches in immer neuen Schichten fest in seine Form bannte? Ein Schleppnetz am Grund des Unterbewussten, den es aufwühlte. Ab und an verfing sich ein Traum.

Schwäche. Sie wahrzunehmen braucht es einen Körper. Nicht anders verhält es sich mit Müdigkeit und Schlaf. Körper und Schlaf sind eins, nicht das Wesen, nicht das Wesentliche. Denn das ruht derweil im Inneren, ein Leben lang. Ist, was es ist: Das Wesentliche meiner Existenz. Vielleicht, kam mir in den Sinn, entsprang die Hülle aus Perlmutt, die sich während Traum und Schlaf in der Auster um das Wesentliche meiner Existenz legte, meinem Sehnen nach einem Körper. Auch das In-den-Sinn-Kommen bedarf eines Körpers - wie alles Schlafen und Träumen. Mein eigener Körper dümpelte fern in einer Dünung aus Fieber, Schwäche und Schlaf. War es an der Zeit, zu ihm zurückzukehren? Dünung, Zeugnis eines längst vergangenen Sturms. Vergangen. Und doch ... kehrte ich zurück, wäre es Rückkehr aus dem Frieden in hilflose Ohnmacht. Rückkehr zum Körper. Rückkehr in Mattigkeit. Und das Atmen erst. Jenes Ein und Aus, das ich als selbstverständlich genommen hatte, und das nun allmählich wieder zu meinem eigenen wurde. Gestalt annahm. Seine Flügel nach und nach mehr anfüllte, spannte, bereit, zu fliegen.

So fern mein Körper mir gewesen war - nun waren das Goldfischglas und die Auster darin die entfernten Vertrauten. Traum. Jene Insel, auf die ich mich gerettet hatte, als mein Körper Schiffbruch erlitten hatte und, entlegene Fremde, in haltloser Dünung gewiegt worden war.

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