Es ist die 88, nicht die 66, über die
ich nach Hause fahre … nach Hause! ET - he’s
lost, he’s alone, and he’s three million lightyears from home. Asien ist
auch furchtbar weit weg. Wenns doch nur voranginge. Stau.
Wieder. Zäh fließender Verkehr. Was
wohl gibt’s da zu glotzen? Blinkende Lichter, Fluter, Autos kreuz und quer,
eines liegt auf dem Dach, dort ein umgestürzter LKW, irgendwas in Decken,
irgendwas unter Decken, irgendwas hinter Decken, ein Polizist, noch einer,
Feuerwehrleute, noch mehr Feuerwehrleute, technisches Gerät, imposant. Die
haben alles im Griff, die da auf der anderen Seite. Der Mittelstreifen legt
sich dazwischen, eine Grenze, die nicht überschritten wird. Na, ja, da vorn ist
sie ziemlich ramponiert, da ist was durch, sind die Leitplanken zerfetzt. Dort
geriet die Ordnung auseinander – und doch, das alles ist so weit weg, so
beruhigend weit. So wie Asien. Da muss Benzin ausgelaufen sein, man kanns
riechen, gut so. Dass mans riechen kann. Das Benzin, wenn’s ausgelaufen ist.
Fugu, da muss man höllisch aufpassen bei der Handhabung.
Die Gaffer kennen keine Grenze. Die
glotzen und glotzen, als könnten sie nicht genug kriegen. Ihre gewachsten
Blechdosen gleiten gemächlich den Schrecken entlang, das Seitenfenster
runtergekurbelt. Handyphotos: Ein Rücken unter Decke beugt sich über einen
Bauch unter Decke, das Haar wirr. Der Rücken mit Decke bekommt Gesicht, schaut
rüber, fliehende Blässe, schaut der zu mir? Verloren schaut der, oder ist das
eine? Verloren, einsam, 3 Millionen Lichtjahre entfernt von zu Hause.
Wie Asien, wie Japan. Für die Menschen
dort, sagt man, gibt es nahezu nichts Schrecklicheres, als das Gesicht zu
verlieren. Den weißen Japaner hats komplett zerlegt. Gott sei Dank stehen da
die mit den Decken und halten die hoch, ein bisschen höher, bitte. Bereitet man
Fugu zu, darf die Hand nicht zittern. Da muss man sich auskennen, das hat man
im Griff, in Japan. Dort gibt’s Lizenzen, seit die eingeführt wurden, sterben
nur noch ein paar Hanseln daran, am Fugu. Die mit den Handys sind auf meiner
Seite und knipsen wie doll, auf der anderen Seite jedoch dasselbe, recken die
Dinger aus dem Seitenfenster in die Höhe – fehlt noch, dass einer aussteigt und
mit der Videokamera draufhält. Oder, in den Schalensitz gekuschelt, Notizen
macht für ein Gedicht und dann so schön abstrahiert, dem Fisch die Haut vom
Leib zieht, dann die Leber raus, als gäbe es kein Morgen. Oh, wie schrecklich,
oh, wie schön, haste gesehn, ey, kuck ma’, haste gesehn? ET zu Hause telefonieren. Der mit Gesicht, der mit dem bleichen Gesicht, der so verloren
dastand, Schemen im Gleißen der Fluter - er zitterte am ganzen Leib. Am ganzen
Leib zitterte er, am ganzen Leib, das lässt mich nicht los. Da vorne tut sich
was. Bald geht’s wieder voran, endlich.
Die alte Frau in Japan, in eine Decke
gehüllt klammerte sie sich an einen stummen Telefonhörer … aus dem Lautsprecher
an der Seite des TV-Gerätes: “… die Kommunikationssysteme sind
zusammengebrochen, tausende drängen sich in den Notunterkünften und versuchen
vergeblich, ihre Angehörigen zu erreichen …“ … Sie zitterte am ganzen Leib,
geschüttelt hat es sie, am ganzen Leib, am ganzen Leib und Leben, mit ganzem Leib
und Leben, ihr ganzes Leben und ihren schmächtigen Leib.
“… I’ll … be … right … here! …“
Irgendwo ist eine Grenze, ein
Leitgedanke, Anstand. Eine Grenze zwischen Berichterstattung und Quote. Nicht
so gut auszumachen wie eine zerfetzte Leitplanke, wahrscheinlich näher dran als
das Gesicht mit Decke und sicherlich ebenso weit weg. Bei einem Erdbeben hilft
die ruhigste Hand nichts, da gibt’s Fugu mit fliehender Blässe. Irgendwo da
draußen in Japan verlieren sie zu tausenden ihr Gesicht und die mit den Kameras
halten voll drauf.
Niemand, der eine Decke hochhielte in
Fukushima.
Ludwig Janssen © 25.7.2012
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen