Mit freundlicher Genehmigung von Rittiner & Gomez, Spiez, CH |
Salzige Luft. Wellen plätscherten. Ein strahlend blauer
Himmel wölbte sich über Milla, über dem Strand. Warmer Sand schmeichelte ihren
bloßen Füßen. Milla fand sich am Meer, an südlichem Gestade, stand mit
ausgebreiteten Armen und hatte ihre Lider gesenkt. Eine sanfte Brise spielte in
ihrem Haar. Am Ufersaum zu ihren Füßen spülte die anlandende See Mitbringsel an
aus Dünung und Tiefe – Muschelschalen, zerschlagene Schneckenhäuser,
Holzstückchen, Tang, den es aus seiner Verankerung gerissen hatte. Einen
Seestern.
Milla schlug die Augen auf, genoss die friedvolle Weite,
lauschte dem Kreischen der Möwen und ihr Blick folgte dem Tanz der Vögel über
Strand und Meer. In einiger Entfernung machte sie etwas Rotes aus, das sich im
anlandenden Wellenschlag wiegte. Milla meinte, auch etwas Blaues, einen
menschlichen Umriss ausmachen zu können und ging darauf zu. Eine Puppe? Ein
Kind! Das erkannte Milla auf den letzten Metern, rannte hinzu und erstarrte:
Ein Kind, ertrunken. Die Wellen brachen gurgelnd und glucksend an seinem
Köpfchen, gingen über den kleinen Leichnam hinweg und rollten mit jedem sachten
Schlag den Ertrunkenen von einer Seite auf die andere. Milla sank in die Knie und
betrachtete sein Gesicht. Mal trug es die Züge eines vielleicht fünfjährigen
Jungen, dann wieder war das Antlitz eines erwachsenen bärtigen Mannes zu sehen,
auf dessen bleicher Stirn Milla seltsame, vom Meerwasser aufgeweichte Male
erkannte, die wie Stiche und Schnittwunden anmuteten:
„Hilfe!“
Gab es hier irgendwelche Hilfe, hier, wo offensichtlich jede
Hilfe zu spät kam?
„Hilfe.“
Hilfe. Milla spürte ihre Hilflosigkeit, spürte, wie ihre
Ohnmacht sich löste und beugte sich über den Jungen, um ihn in ihre Arme zu
bergen …
„Milla!“
Milla hörte ihren Namen rufen und hielt in ihrer Bewegung
inne.
„Milla!“
Der Ruf kam von See her, eindeutig – und zweifelsohne galt
er ihr. Wer rief? Die Stimme war ihr fremd und doch auf eigenartige Weise
vertraut.
„Komm!“
Milla zögerte.
„Milla, komm!“
Milla lief, lief los. Lief in die anlandende See hinein -
und sieh! Der Wellenschlag trug sie, trug ihre weit ausgreifenden Beine und hob
sie über die Dünung. Milla lief über das Wasser, immer schneller wurde ihr
Schritt. Über das Meer, dem Horizont zu, von dem her die Stimme sie zu sich
rief:
„Komm, Milla, komm!“
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