Mit freundlicher Genehmigung durch Rittiner&Gomez, Spiez, CH |
‚Und der Junge am Meer?‘
„Er ertrank, Milla, vor der Küste, an der du seinen Leichnam
fandest.“
‚Auch ihn hättest du zu dir rufen können, dass er über das
Wasser laufen und zu einem eigenen Universum werden kann. Zu einem Universum,
das sich aus der Kraft seiner Gedanken schöpft. Er müsste nicht tot daliegen, einem
erbärmlichen Ende preisgegeben.‘
„Wer, Milla, sagt, wer, Milla, weiß, dass es so ist?“
‚Ich habe ihn dort liegen sehen …‘
„Zu Ende gedacht?“
‚Zu Ende gedacht? Er war … tot!‘
„Milla …“
Milla Cremeso fühlte einen Seufzer ihre Gegenwart
durchströmen. Ihr fröstelte. Der Kosmos, der sie erfüllte und den sie, Milla, aus- und erfüllte,
schimmerte weit und verloren vor sich hin. So weit er auch sein mochte, eine
Antwort auf ihre Frage, was Tariks „zu Ende gedacht?“ andeutete, fand sich
nicht in ihm.
„Es ist wie mit deinen Torten, Milla.“
Milla fragte sich, was eine ihrer Torten mit einem
ertrunkenen Jungen zu tun haben sollte. Oder damit, dass sie, Milla, sich hier
wiederfand, als ein sich selbst aus der Kraft ihrer Gedanken schöpfendes
Universum. Noch dazu geborgen in der Gegenwart eines ihr gewogen gestimmten
Gegenübers, das sie zu sich gerufen hatte und zu dem hatte werden lassen, was
sie jetzt ausmachte.
„Kraft eines Gedankens hast du in dir Sterne entstehen
lassen, Milla. Schau sie dir an. Was soll als Nächstes geschehen?“
Jede ihrer Torten, erkannte Milla, war einem kleinen
Universum vergleichbar, das sie aus ihrer Vorstellungskraft und ihrem Geschick
hatte entstehen lassen. Alles an ihr, auch der Zauber, den man ihren Torten
nachsagte, entsprach ihrer Gedankenwelt und brachte zum Ausdruck, wie sie das
liebende Paar und dessen Geschichte gesehen hatte. War ganz. So wie auch ihre
Wirkung auf das Brautpaar und dessen die Torte verzehrende Gesellschaft ganz
war. Für einen Augenblick, nur einen Augenblick lang: ganz.
Zugleich jedoch war
jede Torte, einmal ausgehändigt, zu Ende gedacht. Milla hatte keinen Einfluss
mehr auf sie. Mehr noch – kaum angeschnitten, kaum, dass der erste Bissen
gegessen war, so war auch ein Ende mit der Gedankenwelt, war ein Ende mit dem,
was als Ganzes der Torte an Geschichte, an Zauber innegewohnt hatte. Es blieb:
Stückwerk. Stückwerk, das auf den Gaumen der es Verzehrenden verging. Aller
nachträglicher Lobpreis dem Rauschen vergleichbar, das Milla den Raum
durchsieben spürte, der Milla erfüllte und in dem Sterne leuchteten, die sie
kraft eines einzigen ihrer Gedanken erschaffen hatte. Nachklang des Berstens,
mit dem sie vergangen und aus dem der Raum entstanden war.
‚Und? Der Junge? Ist er eine deiner … Torten? Ist er zu Ende
gedacht?‘
Seufzen.
„Er ist. Ist noch in mir.“
‚So wie ich?‘
„So wie auch du, Milla.“
Milla spürte sich von einem Lächeln umgeben. Doch verspürte
sie auch eine tiefe Traurigkeit, die diesem Lächeln innewohnte.
‚So bin auch ich, wie der Junge, ein Gedanke in dir, nicht
zu Ende gedacht?‘
„Da ich ewig bin, Milla, ewig und überall, ist – anders als
deine Torten - keiner meiner schöpfenden Gedanken zu Ende gedacht.“
2 Kommentare:
Besonders der letzte Satz ist sehr faszinierend und anregend...
Teil des Ganzen zu sein bleibt für den Menschen selbst (Als Persönlichkeit) als Gesamtheit aus Körper, Geist, Psyche, Seele wenig tröstlich, da sich mit seinem Tod das alles voneinander trennt und so zwar dem Ganzen erhalten bleibt, jedoch nicht sich selbst.
Danke schön!
https://springvogel.blogspot.de/2015/07/aphorismus-zu-gott-und-dem-menschen.html
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