Donnerstag, 7. Dezember 2017

So ganz ohne … und die Pflicht

Mit freundlicher Genehmigung durch Rittiner&Gomez, Spiez, CH


Milla Cremeso zog die Ladentür hinter sich ins Schloss. Mit allem hatte sie gerechnet, nur nicht damit, dass es in den Notunterkünften am Rande des Dorfs keinen Tarik gab. Gab … geben sollte? War der freundliche Sozialarbeiter der Stadt vielleicht nur schlecht informiert?

Ruhetag. Und doch keine Ruhe. Dazu noch der zu erfüllende Auftrag, und der Termin der bevorstehenden Verlobung war nicht mehr weit. Betrübt machte Milla sich auf den Weg in ihre Backstube. Dort herrschte Ordnung. Alles blitzeblank, alles an seinem Platz. Das Weiß der Arbeitsplatte lud Milla ein, den ersten Wurf ins kreative Tüfteln zu tun. Sie trat heran, griff sich Mehl, Eier, Rührschüssel und Mixer, Zucker, Vanillin, Backpulver, Speisestärke, das Salztöpfchen. Einen Anfang machen, beginnen, dann würde sich alles Weitere ergeben.

Alles Weitere ergeben. Beginnen. Milla konnte sich an kein Rezept erinnern, in dem von Tortencreme aus Pflaumen die Rede gewesen war. Blechkuchen mit Pflaumen – die Rezepte waren Legion. Beginnen … innen sah es ganz anders aus. Ob sie nicht besser doch allein zu den Fremden gegangen wäre, nachgefragt hätte? Warum nur hatte sie nicht den Weg über die Straße genommen? Hin zu den Wohncontainern. Die letzten Meter gehen, die letzten, die letzten? Die letzten Meter eines Irrtums hin zu einer Enttäuschung. Einer Selbsttäuschung, vielleicht, der sie, Milla, aufgesessen war.

Der Tortenboden aus Biskuitteig entstand wie nebenher und wölbte sich im Backofen wie ein atmendes Tier der Vollendung entgegen. Pflaumen, wir sind doch keine Pflaumen! Die junge Frau hatte sich vehement gegen diesen Vergleich verwehrt. Wehr. Was war bedrohlich an einem Vergleich mit Pflaumen? In China, so hatte Milla gelesen, galt der Pflaumenbaum als Baum der Erkenntnis. Und im vorderen Orient sollte, las sie, die Pflaume symbolisch für Unberührtheit stehen und sogar als Glückssymbol gelten. Die im Kulturkreis der jungen Frau abwertende Zuschreibung Pflaume für einen Menschen mochte hier Auslöser sein für die heftige Abwehr.

Der vordere Orient, also auch Syrien, also auch Tarik. Wo mochte der Junge nur stecken, und, das bedrängte Milla noch viel mehr, wie mochte es ihm ergehen, jetzt, irgendwo da draußen? Pflaumen. ‚Milla, reiß dich zusammen‘, dachte sie und versuchte, sich auf den Auftrag zu konzentrieren. Die Creme! Die sollte eine mit Pflaumen sein. Und doch, nein, lieber keine Stücke, keine Fasern. Aber wie? Und überhaupt, so, wie sich die junge Frau dermaßen zur Wehr gesetzt hatte gegen die Pflaume als zentrales Thema der Torte, die nicht nur dem Geschmackssinn des Paares, sondern auch jedem unbeteiligten Gaumen das Bild der jungen Liebe wachrufen sollte. Dürfte sie, Milla, das ignorieren? ‚Tarik ist jetzt irgendwo da draußen. Vielleicht braucht er meine Hilfe‘. Tarik, er hatte ihr zugehört. Ohne Vorbehalte. Hatte gelten lassen, was sie an Bildern zu ihren Torten entwarf. Milla stieg in den Keller hinab und holte sich ein Glas eingeweckte Pflaumen, gab den Inhalt in einen Topf, erwärmte die Pflaumen und passierte sie durch ein Sieb.

Der Duft süßer Pflaumen erfüllte den Raum. Sommer, Spätsommer. Blauer Himmel. Der Wind wispert im Laub des alten Baumes, eine jugendliche Milla kostet eine reife Pflaume und spürt den Saft der süßen Frucht ihr Kinn hinabrinnen.

„Etwas mit Pflaumen?“


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