Mit freundlicher Genehmigung durch Rittiner&Gomez, Spiez, CH |
Gerda hatte sich unter der Bettdecke
zusammengerollt, lugte aus großen Augen darunter hervor zum Fenster hin. Kühl
flutete der volle Mond ihr kleines Zimmer. Im Spiel seines bleichen Lichts mit
den langen Schatten der spärlichen Einrichtung nahmen sich das Dunkel ein wenig
tiefer und ihre Welt ein wenig kleiner aus, als sie es ohnehin bereits waren.
Der Mond ist aufgegangen, die goldnen
Sternlein prangen …
Gerdas Stimme war mit ihr gealtert.
Schon lange hatte sie von der Wärme verloren, mit der ihr schon die Mutter
Geborgenheit und Orientierung zur Nacht gesungen hatte. Zur Nacht, die sich,
derart besänftigt, einer warmen Decke gleich mit ihren Sternen um die kleine
Gerda gelegt und alles Bangesein vergessen gemacht hatte.
… am Himmel hell und klar.
Hell und klar. Das Helle war
geblieben. Dem Tag. Dem grellen Licht auf den Fluren. Ein paar wenigen heiteren
Augenblicken. Klarheit … K l a r h e i t … Dieses Wort war ihr fremd geworden. Ich weiß nur mehr: ich küsste es dereinst.
Das Mondlicht verlor sich im Laub der
Baumkronen vor ihrem Fenster, glomm auf, wenn der Wind hinein griff. Dann legte
es sich in silbrigem Widerschein auf ein schweigend wartendes Meer.
… steht schwarz und schweiget, und aus den
Wiesen steiget …
Einsamkeit. Nicht die, an deren Schulter
gut anlehnen ist und nachdenken, nein. Die kalte, die sich ums Herz legt wie
der Kuss der Schneekönigin. Die, die Angst macht.
… der weiße Nebel wunderbar. Wie ist die Welt
so stille …
Und des Vergessens Hülle so weich und
weiß wie Schnee. Das Glück verlernt zu fliegen. Verlassensängste fügen sich zum
Wogen eiseskalter See.
Wäre ihre Suche nach ihrem Kay nicht
so alt wie ihr Lieben, Gerda hätte auch sie schon längst vergessen. Zur See war
ihr Liebster gefahren, einen Splitter im Auge und einen Splitter im Herzen. Die
See war es auch, der sie ihr vergebliches Warten auf ihn anvertraut hatte, ihr
Vergessen ob des Wartens. Schließlich auch das Warten selbst, das sie vergaß.
Das Warten, das sich mit gelebten Stunden und Tagen aus ihren Leben verloren
hatte und nun wieder anlandete. Gelebt sein musste. Mit Stunden zunächst, dann
mit Tagen. Tagen ohne irgendeinen Kay, doch mit einer wartenden Gerda darin.
Sich in der Dünung wiegendes Treibgut landete mit dem Warten dann auch das
Suchen wieder an, haltlos, und rollte mit zerschlagenen Schneckenhäusern den
Strand hinauf. Suche. Nach was auch immer. Ihr rastloses Suchen trug keinen
Namen mehr. Wenn es doch nur ein wenig erinnerte an die Gewissheit, in den Arm
genommen worden zu sein, an Geborgenheit, daran, wie es ist, wenn man sich
angekommen fühlt und zu Hause. Wenn es doch nur erinnerte.
Gerda lag
da mit geöffneten Augen … dass sie lag … eigentlich tat es nichts zur Sache.
Das Vergessen nahm allmählich ihr Erinnern aus dem Spiel, dem Zusammenspiel,
der … Harmonie, ging es ihr durch den Sinn. Derweil ihr Sehnen nach flüchtiger
Geborgenheit einer sich neu findenden Balance galt - mit Gerdas haltlosem
Suchen darin im immer wieder anlandenden Wellenschlag vor ihrem Fenster.
Die weiß ich noch
und werd ich immer wissen / Sie war sehr weiß und kam von oben her.
Diese Sequenz enthält Passagen aus
Matthias Claudius: Abendlied
Bert Brecht: Erinnerung an die Marie A
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