Mittwoch, 2. Oktober 2013

Das Weißebescheid oder: Der Niederrheiner an (und für) sich und im Besonderen – Essay zur im Aussterben begriffenen Hochkultur der Rede in Auslassungspunkten

„Ja, datt kann.“ 

… als Ausdruck der Zustimmung ist natürlich auch am Niederrhein eine durchaus oft zu vernehmende und auch typische Redewendung, doch charakterisiert „ja, datt kann“, auch „jo, datt kann“ und, in platter Version „jò, koss sinn“ nicht den ländlichen Niederrheiner an (und für) sich.

Den eher (wirklich) ländlichen Typen, den von der im Gegensatz zum Rheinländer typisch maulfaulen Sorte, der den für uns typischen singenden Klang der Sprache (eben) NICHT zur Entfaltung bringt, sondern eher "in vogelartiger Kurzstrophe" seine Meinung kundtut, erkennt man an: 

Hm.
 
oder: 

Jò.

 … (und das sollte genügen;)

 
So jemand sagt natüüürlich in geschwätzigen Augenblicken seines Erdenseins auch schon mal:

Ja, datt kann. 

Aber … - dann ist sicherlich Sonntag. Und der Pfarrer hat ihm gerade, nachdem das mit der Barzahlung fürs Jahressamt geregelt wurde, auseinandergesetzt, dass seine Frau jetzt (lies:) doch wohl (verstehe: wohl doch) im Paradies weilen würde - und nicht im Fegefeuer schmoren müsse ...

Ja, datt kann. 

Durchaus möglich, dass es sich bei diesem Sprachgenie, diesem Füllhorn blumenreicher Rede, um den Dorfschmied handelt, heute Schlosser, der, nachdem er den Hammer dem flüchtenden Gesellen nachschmiss und der sich bückte, den Einschlag des Zehnpfünders (Mooker) in die Stirn seiner Ehegattin lediglich mit "Auch gut." quittierte. 

Vom literarisch ahnungslosen Fachmann sei an dieser Stelle, also mittendrin und nicht als Fußnote, angemerkt: Dem Punkt kommt bei der schriftlichen Wiedergabe solcher Episoden wesentliche symbolische und gehaltvolle Bedeutung zu: Der Niederrheiner an sich redet nicht "mit" oder "in Auslassungspunkten", sondern "mit Punkt".
 
Es sei denn, seine Rede an (und für) sich ist ohnehin eine aus aneinandergefügten Auslassungspunkten. Diese spezielle Art der Rede in Auslassungspunkten brachte der Niederrheiner an (und für) sich zur Perfektion. Er nennt das "Weißebescheid".

Das Weißebescheid des Niederrheiners hat man gefälligst aus seinen Augen abzulesen, auf Punkt und Komma genau, auch, wenn er schläft, auch, wenn er „ma nich kuckt“, und, wichtig, auch immer folgende Zusätze: 

Iss gez nich bös gemeint, aber ...
Kannze nich sehn, datt ...
Ich leide, und du ... 

So ist das bei uns, und dieser kurze Monolog "Weißebescheid.", der eigentlich sämtliche philosophischen und feingeistigen Abhandlungen beinhaltet, ja, verdichtet, sofern sie im Katechismus, der Bibel, in einem Lesebuch oder der 'Rheinischen Post' (bei Evangelischen ersatzweise die NRZ) zu finden sind, wird klanglich unterstrichen durch die oben erwähnte vogelartige Kurzstrophe "Hm ...", dem pink! einer Meise vergleichbar und ebenso kurz.

Aber nur, wenn der watt sacht … 

Der Niederrheiner. 

Dabei beinhaltet, auf den Niederrheiner bezogen, dieses "Wenn-der-watt-sacht …" allein schon einen Tsunami unausgesprochener Weißebescheids und Weißewatts, die auszuführen einen (noch ahnungslos) Interessierten für Stunden weißebescheidenen, weißewatten Singsangs gnadenlos in die Ecke pinnen würde, potentielle Migranten jedoch abhalten könnte, sich am Unteren Niederrhein niederzulassen. 

Andererseits erklärt es den Umstand, dass Niederrheiner nur ungern weiter wegziehen, als der Schatten des Kirchturms reicht, denn wer, außer dem Niederrheiner „umme Ecke“, hätte dafür Verständnis, dass man sich nie so recht festlegen mag? Wer, außer einem Niederrheiner, beherrscht das Instrumentarium, die Geschwätzigkeit und Ausdruckstärke der verdichteten geschlossenen Rede in Auslassungspunkten mit solcher – ja! -Virtuosität wie der Niederrheiner an (und für) sich, und, schlimmer noch – überhaupt!?

 Ein Umstand, der die besserwisserischen Hauptstädter in (nicht aus, wohlgemerkt) Kleve zu wahren Weltreisenden macht und deren „Schwanenturmsyndrom“ daher zum bereits sprichwörtlich verbreiteten "fliegenden Wort" werden ließ. Denn die Klever kennen sich aus, in allem und jedem, egal, ob sie den, der, die, das oder was kennen oder nicht. Aber das ist eine andere Geschichte und soll von einem Schüsterken erzählt, nicht von einem Schwan ausgeplaudert werden ...

 
Ludwig Janssen © 4.12.2008

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