E i n g a n g
Kurz vorm Einschlafen hatte ich der Katz in die großen Kulleraugen gesehen. Nicht nur das, sogar angesprochen hatte ich sie und gefragt, ob sie … Doch sie blinzelte nur und hüpfte von der Fensterbank hinaus in die Mainacht, die nach Gewitterregen duftete und frisch gemähter Wiese.
Ein wenig Nacht später und etwas Wiesenduft weiter war es
Tag und ich sah das Brathähnchen. Rote Strümpfe, Wolle wohl und
selbstgestrickt, schlackerten um seine viel zu langen, dünnen Beine. Bei jedem
Schritt winkelte es ein Bein zunächst an, zog es in Zeitlupe zu Körper hin und
streckte es dann ebenso lang wie behutsam nach schräg unten ins Gras, gerade
so, als würde es durch Salat … was auch gut möglich wäre, denn womit,
bitteschön, soll ein Brathähnchen denn auch erkennen, dass es nicht … du weißt
schon. Deshalb konnte es mich ja auch nicht hören, jedenfalls mit den Beinen, so was können nur
Grashüpfer. Ich sah ein, dass es aus diesem Grund auch keinen Sinn machen
würde, das Brathähnchen darauf anzusprechen, wie surreal es daherkäme, so ganz
„ohne“, wie Brathähnchen nun einmal sind - und doch alles andere als kopflos.
Obwohl, selbst „ganz“ ist für ein Brathähnchen keine Selbstverständlichkeit.
Doch mit genau dieser Selbstverständlichkeit stakste es jetzt durch die Wiese,
die Luft duftete nach Gras und der Tag schmeckte ein wenig salzig.
Nichts in die Augen reiben, nur nicht die Augen, dachte ich
mir, da kam der Hering auf mich zu, schwamm mir vor der Nase umher, kleine
Glitzerkapriole, wie man sie auf der Achterbahn oder von Kunstfliegern sehen
kann, und glotzte. Fischaugen sind immer ’n bissi glotzig, findest du nicht?
Also konnte er ja nichts dafür. Der Hering schwamm also vor meiner Nasenspitze
und glotzte. So nah, dass ich ein wenig schielte. Kennst du das auch? Dann
machte der Hering etwas, das ich noch nie zuvor bei einem Fisch bemerkt hatte:
Er lächelte! Kannst du dir vorstellen, wie sich das anfühlt? Du bist auf einer
Wiese, vor deiner Nasenspitze wedelt ein Hering mit seinen Brustflossen und
lächelt dich an, das auch noch tagsüber? Ja, kannst du? Gut, dann erzähle ich
weiter.
Das lächelnde Silbergeflutsche vor mir glotzte immer noch.
Wie gesagt, kein Wunder, schließlich können Fische nicht anders, das heißt,
diese armen Dinger können nicht blinzeln, wie zum Beispiel meine Katz das kann.
Aber besser noch als das Brathähnchen haben sie es, denn die wären vielleicht
froh, wenn sie wenigstens aus Fischaugen in die Welt stieren könnten, und
können noch nicht einmal das. Brathähnchen haben nämlich keinen Kopf, aber das
weißt du ja schon längst. Brat. Mir fiel auf, dass dieses Wort sich in diese
Geschichte hier geschlichen hatte und sich allmählich breit machte. Es
verströmte den Duft von Brathähnchen, zog ihn hinter sich her, denn das Wort
war immer einen Ticken schneller als der Duft. Ah, dachte ich mir, dann ist das
eine gute Geschichte.
Glaube mir, das stimmt: In guten Geschichten ist das Wort immer, aber nur ein wenig, schneller als Bild oder der Duft, ein winzi, winzi Tickchen nur, dann löst es sich auf - und du weißt nicht, war da jetzt ein Wort - oder war dieses Bild, war dieser Duft nicht eigentlich schon immer da? Kleine Fragezeichnung. So wie hier der Duft von Brathähnchen. Gerade so, nicht lachen, als hätte das Wort einen Furz gelassen. Rose zum Beispiel ist ein Wort, da weiß auch gleich jeder, wie das riecht, wenn es pupst. Das hört man - ein leises, klein geschriebenes pffft – und schon ist alles vollgeduftet. So, jetzt aber wedeln, wedeln, wedeln mit beiden Händen, damit der Rosenduft verschwindet, denn der gehört nicht hierher, hat hier nichts verloren, also braucht er auch nicht zu suchen und wir wedeln ihn zum Fenster hinaus. Na ja, gibt ja kein Fenster auf der Wiese, aber wir beide tun in dieser Geschichte so, als wäre da eines.
Glaube mir, das stimmt: In guten Geschichten ist das Wort immer, aber nur ein wenig, schneller als Bild oder der Duft, ein winzi, winzi Tickchen nur, dann löst es sich auf - und du weißt nicht, war da jetzt ein Wort - oder war dieses Bild, war dieser Duft nicht eigentlich schon immer da? Kleine Fragezeichnung. So wie hier der Duft von Brathähnchen. Gerade so, nicht lachen, als hätte das Wort einen Furz gelassen. Rose zum Beispiel ist ein Wort, da weiß auch gleich jeder, wie das riecht, wenn es pupst. Das hört man - ein leises, klein geschriebenes pffft – und schon ist alles vollgeduftet. So, jetzt aber wedeln, wedeln, wedeln mit beiden Händen, damit der Rosenduft verschwindet, denn der gehört nicht hierher, hat hier nichts verloren, also braucht er auch nicht zu suchen und wir wedeln ihn zum Fenster hinaus. Na ja, gibt ja kein Fenster auf der Wiese, aber wir beide tun in dieser Geschichte so, als wäre da eines.
Puh! Der Hering ist immer noch da und lächelt, Brat duftet
ungestört, das Hähnchen stakste mittlerweile von der Wiese und aus dem Bild,
ist wahrscheinlich blind über den Rand der Geschichte hinaus gelaufen und fiel
aus dem Rahmen. Nur der Fisch ist noch da, du und ich sind es auch, und
irgendwo da draußen in der Nacht, die ein salzig schmeckender Tag ist und eine
nach Gewitter duftende Wiese, läuft meine Katz und schnuppert an Gänseblümchen.
Nun ja, nur vielleicht, denn ich kann sie ja nicht sehen. Du etwa? Nein?
Siehste. Oder besser nicht, siehst’ ja nicht, die Katz jedenfalls. Siehst du
den Fisch? Ja? Gut. Dann kann ich ja weiter schreiben.
Ich frage den Hering, den ollen Lächler, ob er sich „Brat“ vorstellen
kann, also, ob er sich vorstellen könnte, wie das Brathähnchen … da knipst der
sein Lächeln aus, glotzt nur blöde und, ich würde schwören, sogar ein wenig
vorwurfsvoll, patscht mir seine silbrige Schwanzflosse rechts, links,
flitsche-flatsch um die Ohren und flitzt weg, aus dem Bild, auf und davon. Dabei
habe ich doch bloß gefragt. Heringe sind eben leicht eingeschnappt, so sieht
das aus. Eigentlich müsste diese Geschichte jetzt so weitergehen, dass ich
schreibe, der Hering hätte das Weite gesucht, ohne einen Ton zu verlieren. Das
geht aber nicht, denn zum einen ist es so, dass Fische nicht stumm sind, wie
man immer sagt und Heringe sehr wohl in der Lage sind, einen Ton von sich zu
geben, ja, sie unterhalten sich sogar miteinander – zum anderen war dieser
Hering dermaßen sauer auf mich, dass er geplatzt wäre, hätte er nichts gesagt. Nun ist es so, dass Heringsworte sich anhören wie kleine Pupse, denn es
sind tatsächlich Pupse, mit denen sich Heringe unterhalten. Kannst du dir also
vorstellen, was für ein Geknatter das war, als der Hering, total wütend auf
mich, das Weite suchte? So laut war das, wäre ein Moped ohne Auspuff durch
diese Geschichte gefahren, du hättest das nicht gehört. Es duftete nicht einmal
mehr nach Brathähnchen, so viele Heringsflüche schwaderten heringssilberfluchendgrün
durch den Tag, der eigentlich Mainacht war, und über die Wiese mit meiner Katz
mit den Blinzekulleraugen darin.
Außerdem suchte der Hering das Weite nicht, er fand es auf
Anhieb, gerade so, als hätte er es aus der Hosentasche gezogen. Das Weite
steckte im alten Gartenzaun, du weißt schon, an der Stelle, wo die zwei Latten
fehlen. Dort verschwand der Hering und nahm diesen Ausgang der Geschichte. Du
lachst? Doch, tatsächlich, das ist alles genau so passiert, wie ich es dir hier
erzähle, frag’ die Katz, sie ist noch da draußen auf der Wiese, also in der
Geschichte, und schnuppert an Gänseblümchen. Jetzt habe ich dir ein Geheimnis
verraten, nämlich, dass Geschichten einen Ausgang haben. Eigentlich sind es
mehrere Ausgänge, und wenn du magst, kannst du dir einen dazu denken, doch
einen davon nehmen sie immer. Du und ich, die Katz, das Brathähnchen (und brat
mir einer ’nen Storch, denn der war auch dabei, hast du’s bemerkt?), der
Hering, die Wiese mit dem Gewitterregenduft und der Tag, der eigentlich eine
Nacht ist, auch die Nacht selbst, alles hat einen Ausgang. Alle Dinge, die
beginnen, enden auch.
So, mein Lieb, jetzt kennst du eine meiner Fischichten, hast
das Brathähnchen auf der Wiese gesehen, den lächelnden Hering pupsen gehört und
bist eine Weile mit mir durch einen Tag im Mai geschwommen, der eigentlich
Nacht ist und nach Gewitterregen duftet. Inzwischen ist auch die Katz wieder
zurück, sitzt im Mondschein auf der Fensterbank und blinzelt.
Wenn du magst, kannst du ihnen Namen geben, bevor du einschläfst, denn ich habe
sie nicht danach gefragt.
Hier ist die Geschichte zu Ende, siehst du?
A
u s g a n g
Gute Nacht!
Ludwig Janssen © 31.5.2008
8 Kommentare:
Ich werd sie an Paula testen, deine Fischichte! 5 Jahre alt ist sie und blitzgescheit. Und ich werde mir selbst zuhören.
Es wird riesig werden ... ♥
Und? Erzähl ... :)
Lieber Ludwig,
leider ist es noch nicht zum Erzählen gekommen.
Diesen Samstag schläft das süße Ungeheuer wieder bei mir, da werde ich ein blaues Tuch über die Nachttischlampe hängen und unter Zuhilfenahme von Händen und Füßen vom Brathähnchen und silbernen Flossen erzählen. Nur das Wort surreal werde ich wohl weglassen müssen. ;)
Gruezi
Llu ♥
Nur zu :)
Junge Menschne lernen gerne, surreal dürfte kein Problem sein, wenn du es beim Schein der beflorten Lampe mit seiner frakophonen Wurzel aussprichst und mit ausladender, weicher Geste erläuterst ... über dem Realen, lass ihre Phantasie fliegen wie von Marc Chagall gemalt, oder, zeige ihr mein "Mondvogel", das ist auch surreal :)
http://hpbimg.giersbeck.de/mondvogelkleinb.jpg
Lieber Ludwig,
heute Abend war es nun so weit.
Ab dem Auftritt des glotzenden Herings (Lachsalve) habe ich ihre Gluckser und dann die Kicherer nicht mehr zählen können. Geht in dieser Masse auch schlecht beim Vorlesen.
Die eingestreuten Fragen und Überleger kamen gut, sie machen das Ganze zu einer spontanen Geschichte, einer Spinnerei, wie wir sie oft während der langen Autofahrt praktizieren.
Das "surreal" sprach ich mit geziemend spitzem Mündchen und einem langen Ü. Und du hast Recht gehabt, für sie gehörte es dazu wie der Turm zum Rapunzel.
Die anschließenden Fragen, obwohl das Mäulchen stille stehen sollte, beantwortete ich noch schnell, z.B. ob Heringe wirklich pupsen. Auf meine Antwort, dass sie doch Luftblasen erzeugen, meinte sie: Aaaber Andrea! Man pupst doch aus dem Popo. Tja. Das habe ich nun von meiner kindischen Sichtweise.
Vielen Dank, Ludwig.
Ein Märchen, das zu schade ist, hier nur auf dem Blog herumzuhocken. Echt.
Gute Nacht ... ♥
Kann es sein, dass das jetzt doppelt kommt? :/
Phantastisch! :) Danke schön! Und klar, Heringe pupsen, sie kommunizieren so, nimmt man an: http://www.wissenschaft.de/home/-/journal_content/56/12054/1145675/
Und liebe Grüße an Paula! Ein schöner Name.
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