Einst träumte Antisone, ein einem Stein entstiegener
Jüngling würde sie küssen auf eine Art und Weise, der sie auf immer verfallen
würde. Daraufhin ging die Tochter des Königs Materios an den Strand der Insel
Dimensiones, sammelte Kiesel, die von der Flut an- und freigespült worden
waren, und küsste jeden, der ihr gefiel, einen nach dem anderen. Doch blieb
ihre Erwartung jedes Mal enttäuscht. So warf sie jeden dieser Kiesel über die
Schulter hinter sich, schlenderte den auslaufenden Wellensaum entlang, bückte
sich nach vielversprechenden Kieseln und küsste sie. So ging das von morgens
Früh bis spät. Antisone wurde nicht müde, Kiesel zu küssen. Das Licht der Sonne
färbte sich rot, das Blau des Himmels vertiefte sich, das Meer verdunkelte.
Antisone konnte die Kiesel kaum noch erkennen, schon gar nicht nach Farbe und
Muster unterscheiden. Ihre Zuversicht schwand, sie wurde traurig. Ihre Lippen,
vom vielen Küssen fühlten sie sich hart, geschwollen an und schmerzten.
Weinend wandte sich Antisone vom Meer ab, verließ den Strand
und ging heim. In dieser Nacht träumte ihr wieder von dem Jüngling aus dem
Stein und seinem Kuss, lüstern warf sich auf ihrem Lager hin und her und
erwachte verschwitzt, derangiert, voller Sehnsucht nach jemandem, den sie nun
zweimal im Traum erlebt hatte. Wieder ging sie an den Strand, wieder küsste sie
einen Stein nach dem anderen, wieder ...
Am Abend des dritten Tages, die Königstochter hatte die
Insel umrundet, erblickte sie in der Ferne ein Segel, dass sich über den
Horizont schob, ein Schiff, dass sich dem Strand näherte, knirschend auf den
weichen Sand lief und landete. Antisone hoffte, dass nun der Jüngling ihres
Traums von Bord springen und sie in die Arme nehmen würde, doch nichts geschah.
Neugierig und ängstlich zugleich stieg Antisone über die Bordwand des Schiffes.
Es schien verlassen. Niemand zu sehen, kein Geräusch zu hören. Im Laderaum des
Schiffes fand Antisone Kiesel. Hunderte, tausende, in allen möglichen Farben,
Mustern und Formen, kaum einer größer als eine Faust.
Antisone küsste einen nach dem anderen. Nichts geschah.
Wieder kehrte Antisone heim, enttäuscht und weinend. Zu Hause angekommen
wartete ihr Ehemann Unanders auf sie, mit dem Antisone seit sieben Jahren
vermählt war und zwei kluge, lebensfrohe Kinder hatte. Tröstend breitete
Unanders seine Arme aus. Hatte er doch gesehen, dass seine junge, schöne Frau
weinte. Antisone sank schluchzend in seine Arme, dass es sie schüttelte … und
kam zur Ruhe. Sie schaute ihrem lieben Mann tief in die Augen - und küsste ihn.
Unanders wurde Stein.
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