Samstag, 22. September 2007

Der Sphüngs als Rätselhaft

Der Sphüngs wunderte sich. Immer wieder bauten sich Menschen vor ihm auf und erwarteten, dass er ihnen ein Rätsel stellte, so eines mit dem Schwierigkeitsgrad ‚Auf Leben und Tod’ oder so. Zumeist standen sie für ein Weilchen da und versuchten sich an einer Art stolzem Blick, der wohl keine Zweifel aufkommen lassen sollte, dass gerade sie und niemand anders auch auf das verzwickteste Rätsel die richtige, heldenhafte Antwort wüssten. Dann, wenn nichts geschah, was auch nur annähernd als ein an gerade sie gerichtetes Rätsel interpretiert hätte werden können und sie sich um ihre Chance gebracht sahen, dass je einer ihrer klimpernden Passepartouts sie mit hehrem Glanz umspülte, wandten sie sich enttäuscht ab, fluchten lästerlich oder brachten ihr Missfallen und ihre Geringschätzung des Sphüngs auf andere abfällige Weise zum Ausdruck. Nachdem er sich das eine Zeitlang angeschaut hatte und auch die Vorstellung, die fettesten von ihnen zu fressen, ihm eher Übelkeit bereitete als dass sie die Langeweile ihres unhaltbar hochmütigen Anblicks vertrieb, hatte der Sphüngs eine Idee: Er stellte fortan aufmerksam die großen Ohren auf, fixierte die Helden mit seinem Blick und schillerte sie aus der Tiefe seiner großen Augen grundlos an. Dazu lächelte er, natürlich mit äußerster Geheimung und Milde. Ob es nun an den Geräuschen lag, die sie zu hören glaubten und doch eigentlich fühlten, an visualisierten Berührungen, oder ob sie ganz einfach nur in den Turbinensog der wirbelnden florfliegengrüngoldenen Iris und ihrer Kiebitzeierflecken gerieten, wird nie wirklich geklärt werden. Wahr ist nur, dass die Menschen, die dem Sphüngs seitdem gegenüber stehen und ihm in die Augen schauen, Fragen stellen. Große Fragen, die sie sonst nur an Gott oder einen Narren richten würden. Wenn sie sich das getraut haben und die Frage gestellt ist, wundern sie sich darüber und wollen wissen, warum er ihnen nicht antwortet. Ich bin ein Sphüngs, antwortet er dann auf diese kleine Frage und lächelt.

  Ludwig Janssen © 28.11.2006

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