Montag, 22. September 2014

Kritische Kommentare – eine aussterbende Spezies?

Kritische Kommentare sind vom Aussterben bedroht! Ihre Biologie ist kompliziert, die künstliche Nachzucht in Zoos ausgeschlossen, sie brauchen lange bis zur Reife, sie werden übermäßig bejagt und haben keine Schutzzonen. 
In einem Literaturforum über Kommentare und das Kommentieren zu schreiben ist in der Steppe dem Gras vom Gras vorlesen, dem Gras, das über Gras wächst. 
In einem Literaturforum wie ████ übers Kommentieren zu schreiben ist auf einer Weide dem Gras vom Gras vorlesen und Rindviechern. Nur die klugen unter ihnen fragen sich jetzt, ob ihnen vom Gras vorgelesen wird oder dem Gras von ihnen. Nur dann, wenn sie dies hier lasen. Die anderen begnügen sich damit, Gras zu fressen, es zu verdauen und auszuscheiden, ins Gras, selbstverständlich, und damit, Gras plattzuliegen. Das wiederum bevorzugt an Stellen, die von unverdaulichen, aus Rindviechern entleerten Überbleibseln frei sind, jedoch von Gras bewachsen. 
Diese Rindviecher, zumeist Kühe, kommen morgens und abends nach (- und gehen vor -) dem Melken und halten sich ansonsten wie das Jungvieh und Mastbullen rund um die Uhr über, im und auf dem Gras auf, jenem Gras, dem ich über all das Gras und die Rindviecher vorläse, würde ich in einem Literaturforum wie ████ übers Kommentieren schreiben. 
Nun ist das, was man gemeinhin mit „Gras“ bezeichnet, für grün hält, weil die Pflanzen mit grünwelligen Lichtstrahlen nichts anfangen können und diese abweisen, reflektieren, eine je nach Standort und Bewirtschaftung mehr oder weniger artenreiche, vielfältige Pflanzengemeinschaft. 
Doch weder dem Gras, der Pflanzengemeinschaft noch den Rindviechern möchte ich hier das Wort reden, sondern einer Spezies, von der zwar oft die Rede ist, manchmal gar das Geschrei, die jedoch äußerst selten, und wie ich darlegen möchte, vom Aussterben bedroht und somit schützenswert ist: 
Der kritische Kommentar
Vorweg: Nicht jeder Kommentar, der kritischer genannt wird, ist einer. Die einen nennen ihre persönlich gemeinten Spitzen kritische Kommentare, weil solche Widerlichhaken besser hängen bleiben und sich gleich einer künstlichen Fliege vorzüglich appetitlich aufbereiten lassen. Die anderen nennen kritischen Kommentar, was nichts anderes ist als Vorturnen, wie sie selbst einen Text geschrieben hätten, manchmal „lieber gerne selbst geschrieben“. 
Und es kommt noch schlimmer: Nicht jeder kritische Kommentar ist ein guter Kommentar! Damit meine ich gut in dem Sinne, dass er dem Autor des kritisierten Textes weiterhilft. 
Die Gesamtheit aller Kommentare stellt die Kultur des Kommentierens dar. Da hilft es nicht, gegen die eine oder andere Art und Weise anzuschreiben. Man kann nicht das Kommentieren abschaffen, um kritischen Kommentaren Raum zu geben – auch wenn manche Landwirte Gras unterpflügen, um Gras zu säen, Gras, das ebenfalls von Rind…
████ wird, was den kritischen Kommentar angeht, immer Gras mit Rindviechern sein und bleiben.

Das einzig Erreichbare ist eine Subkultur, eine Ökonische für den kritischen Kommentar. Den gepflegten kritischen Kommentar, der polarisieren darf, zuweilen muss, um wachzurütteln, schüttelt er doch zuweilen gewohnte und vielleicht faule Denkmuster vom Lorbeerbäumchen.

Dieser Subkultur möchte ich gerne das Wort reden. Dazu brauchen wir "subversierte Elemente", denen tatsächlich an Austausch liegt und Zuarbeit. Das sind durchaus anstrengende Kommentare, die auffordern, das eigene Schreiben zu überdenken. Das schreibe ich jetzt völlig unabhängig davon, ob er/sie (was er/sie tatsächlich tut) mir auf den Keks geht oder nicht, ob ich mit seiner/ihrer Schreibe was anfangen kann oder nicht. Ich habe Hirn genug, um mir ein Bild von dem Maß an Integrität und Kompetenz machen zu können, um sein/ihr Urteilen = Mitteilen = Am-Denken-Teilhaben-Lassen einordnen zu können.
Ich will ja nicht sein Denken, sondern seine Meinung! Und die will ich lediglich wissen, nicht mir aneignen. Das gilt für jeden engagierten Kritiker.
 
Eigentlich ist jeder (gut) kritische Kommentar eine Bitte um, eine Aufforderung zu Kritik, weil der Kritisierende seine eigene Meinung zur Disposition stellt.

Braucht es den Kritiker überhaupt? Den Kritiker überhaupt - ja! Das andere ergibt sich aus dem Detail, also z.B. welchen Kritiker. Auch "wozu?" (man ihn braucht) ist/wäre eine im Detail und nicht hier zu klärende Frage. Was jedoch offensichtlich ist: Nicht jeder, der einen bräuchte bzw. gebrauchen könnte, kann einen Kritiker brauchen.
Daher beschränkt sich die Anerkennung des Kritikers, der "kritischen Frage" (denn man muss schließlich kein Kritiker sein, um kritisch zu hinterfragen, zu analysieren) auf eine ökologische Nische. Genauer: viele ökologische Nischen.

Dabei ist die biologisch-fachliche Diversität "der Kritiker" recht groß:
Stationär praktizierend sind sie wohlgelitten wie das Salz der Erde, jedoch schlecht ausgelastet. Obwohl sie Schönheitschirurgen sind, sind ihre Diagnosen unpopulär und damit für die Öffentlichkeit ungeeignet. Der Eingriff als solcher soll nicht als solcher erkannt werden.
Ambulant praktizierend sind sie das Salz in der Wunde und entsprechend unbeliebt. Man sähe sie gerne stationär praktizierend und schreibt ihnen beständig entsprechende Ecken zu, in die sie sich gefälligst selbst zu stellen haben, anstatt anderen das Gefühl zu vermitteln, in eben diese Ecken gestellt worden zu sein. Ja, ja.

Kritische Kommentare sind eine bedrohte Spezies.

Sind sie auch schützenswert?
Gras ist Gras, Rindvieh ist Rindvieh, Kritik ist Kritik - ihre Rezeption wie auch ihre Akzeptanz im Wesentlichen unabhängig davon, wie gehaltvoll sie ist. So bestimmt letztlich die Kritikfähigkeit von Kritisiertem und Kritiker darüber, ob sich Kritik positiv oder negativ auswirkt/auswirken kann. (Zur Kritikfähigkeit später mehr.)
 
Um (kurz, … kurzschlüssig?) im Kontext positiv/negativ zu bleiben: Kritik legt Spannung an. Diese Spannung baut sich zwischen den beiden Polen Minus und Plus auf - schließt sich der Stromkreis, z.B. durch Handreichung oder Handschlag, fließt Strom und die Spannung gleicht sich aus. Welch ein Segen, wenn dann zumindest ein (!) Glühbirnchen aufleuchtete. Das allerdings muss vorhanden und angeschlossen sein.

Kritische Kommentare sind schützenswert! Und sei es, um andere vorm Stromschlag zu bewahren. Isolieren Sie die kritische Phase!

Kritische Kommentare sind schützenswert! Und sei es nur deshalb, weil ohne Spannung kein Lämpchen leuchten würde  … weil ohne sie auch kein Lämmchen glühen würde!
[Lammschein on my shoulders makes me happy, Lammschein in my eyes can make me cry (frei überätzt nach John Denver)] 
Der kritische Kommentar als Lösungsmittel – oder: Katarrh und Katharsis:
 
Jeder will ihn haben, doch keiner möchte das Gesicht verlieren, wenn er ihn bekommt. Schließlich wird Eitelkeit beschädigt - … poliert?  "Bitte zuvor an unauffälliger Stelle prüfen" steht auf der Verpackung von Fleckenmitteln. Geht bei Kritik nicht immer. Zumal Kritik nicht zwingend Fleckentferner ist (prima, wenn sie das anbietet), sondern in erster Linie Markierung.

Wer kritisiert, macht sich unbeliebt. Vor allem, wenn er das offen bei offen ausgestellten Eitelkeiten macht. Da auch Lob Kritik ist, hm, sein kann, sei angemerkt, dass bekanntlich die Dosis das Gift macht.

An anderer Stelle wies ich darauf hin, dass Kritik auch ein (gehaltener) Steigbügel sei und auch so genutzt werde: Offene Kritik an Texten, kritische Erwiderung offenbarter Weisheiten ist der eigentliche Steigbügel, in dem sich die Kritisierten, anstatt die Kritik anzunehmen, zu diskutieren, zu widerlegen, sich lustvoll hochstemmen. 
Selbst ein Verriss macht den lahmsten Klepper für einen köstlichen Moment Aufregung zum Pegasus, zum Bukephalos. Ist der Steigbügel, der die (selten genutzte) Chance zu brillanter Replik bietet, Empfehlungen und Leseaufrufe bringt. Bestes Marketing.

Sicherer Halt für den Sprung über den Doppeloxer 'Langeweile'.

Einige angeblich alterserfahrene Mädchen realisieren nicht einmal, wie auffällig sie geradezu um Beachtung durch den "bösen Kritiker" buhlen, ihn krampfhaft herbei zu kokettieren suchen, indem sie anderen Kommentatoren namentliche Andeutungen machen (Eine Unhöflichkeit, die dem eigentlich Kommentierenden ebenso wie ein "ja, ja" zeigt, dass sein Kommentar zwar nett ist, aber nicht der (heimlich, eigentlich) erwartete Adrenalinschub).

Der kritische Kommentar ist reinste Verschwendung.
Eigentlich Wunder, dass sie immer wieder verschwendet wird. Es muss ein Vergnügen in dieser Verschwendung liegen, das mit dem Füttern von Enten im Park (Guru! Guru!), dem Weckgummi-Schuss nach einer Fliege, dem Werfen von Steinchen in ein Gewässer zu vergleichen ist.
Verschwendung! Das wird wohl auch der Grund sein, warum er in Foren, insbesondere 
████ ist hier gemeint, aussterben wird. Wer verschwendet sich schon gerne auf Dauer, macht sich gerne unbeliebt? Wie war das noch einmal mit dem Überbringer einer schlechten Nachricht?

Kritische Kommentare - bedrohte Spezies!

Sollte man kritische Kommentare in Zoologischen Gärten vor dem Aussterben bewahren?
 
Refugien schaffen, in denen kritische Kommentare sich tummeln und neugierige Besucher sich auf Sichtweite nähern können? Eine vorzügliche Metapher, will ich meinen! In einem Zoo gäbe es den Pavianfelsen! Die Löwengrube! Die Voliere! Das Freigehege der Antilopen! Da gäbe es den Pantherkäfig! Das Aquarium! Das Noctuarium gar!

Gräben, Glasscheiben, Gitter. Alles übersichtlich. Alles sicher, da schön voneinander getrennt.
Und mittendrin wandelt der überlegene Geist, erhaben schaudernd und frei von Kritik. Wenn da nicht die Möwen und Lamas wären. Mist. Doch wieder ein Beispiel mit Holzbein. Oder etwa nicht?

Steht DAS zur Wahl? Zoologischer Garten oder Safaripark?
Ja. Nein. So ein Literaturforum wie ████ eines ist, ist, noch, eher wie ein Safaripark:
"Mutti, kurble das Fenster hoch!" "Was macht der Pavian am Spiiiiiiiie...!" 
Nein, lieber doch kein Safaripark, in dem ein Pavian dem Vehikel (Vektor?) des Gedankens den Außenspiegel abbricht und dem Auto(r) vor(s Gesicht)hält, genauer: in dem die Möglichkeit besteht, dass so etwas geschehen kann? Fangen wir also lieber mit einem Zoologischen Garten an. Die kritischen Kommentare hinter Schloss und Riegel, der erhabene Geist wandelt inmitten und kauft sich eine Kugel Mond in der Waffel, flaniert ein Sonett und knabbert, füttert Aphorismen an die Möwen, in der Jackentasche die Monatskarte.
Genau der richtige Ort, um kritische Kommentare, die Eisbären und Eichhörnchen vor dem Aussterben zu bewahren ... [gedachtes *Hach*]

Oder?

Kritikfähigkeit – Königin der Nacht oder Gras? 
Wenn man dem Gras und den Rindviechern darauf, darin und drumherum vom Gras vorliest, darf man ein Kapitel nicht auslassen: Das Kapitel von der Kritikfähigkeit. Schließlich ist die Kritikfähigkeit etwas, das sich auf beiden Seiten entwickelt, auf Geber- und Nehmerseite. Die Kritikfähigkeit ist es auch, die das Schicksal eines jeden kritischen Kommentars entscheidet. Somit auch das Schicksal des kritischen Kommentars an sich und sein Überleben auf ████ im Besonderen.
Da der intelligente Mensch davon ausgehen kann, dass Kritikfähigkeit nicht naturgegeben und bei gutem Willen erlernbar ist, könnte er seinem Gegenüber die Möglichkeit einräumen, sie sich anzueignen [Ich schreibe absichtlich nicht von lernen oder gar lehren!]. Das könnte in einem Zoologischen Garten geschehen, in dem er, ohne zwingend in das Geschehen eingebunden zu werden, sich das Wechselspiel von kritischen Kommentaren und individueller Entwicklung des Schreibens betrachten kann.

[Naturtalente könnten es ja gleich mit dem Safaripark versuchen.]
Die Er- und Einrichtung eines entsprechenden Geheges - kann sich das aus Learning-by-Doing entwickeln? Wie finden sich Leute, die sich darauf einlassen? Wer stellt sich als Antilope zur Verfügung und rennt eine Diagonale durchs Löwengehege? Wer stellt sich als Löwe zur Verfügung und rennt eine Diagonale durch Antilopengehege?

Finden sie sich überhaupt? Schließlich wird man doch schnell müde, kritisch Stellung zu nehmen, wenn man dafür abgewatscht wird, wird man müde, wenn auf einen gut gemeinten Hinweis auf einen RS-Grammatik-Syntax-Fehler hin eine (durchaus legitime) Abfuhr erteilt bekommt?

Womit wir wieder bei "Verschwendung" wären. Arbeitet man nicht sogar kreative Energie auf, wenn man Kritik übt, wo sie unwillkommen ist? Energie, die man selbst und fürs eigene Schreiben einsetzen könnte. Außerdem ist kreative Energie ein langsam nachwachsender Rohstoff (jetzt bitte nicht von Schüben berichten, sondern die Lebensspanne betrachten).

Nacht ists, und die Sterne funkeln, / Palmström musiziert im Dunkeln ... (Morgenstern)
In einem Literaturforum über Kommentare und das Kommentieren zu schreiben ist in der Steppe dem Gras vom Gras vorlesen, dem Gras, das über Gras wächst. 
In einem Literaturforum wie ████ übers Kommentieren zu schreiben ist auf einer Weide dem Gras vom Gras vorlesen und Rindviechern. Nur die klugen unter den Rindviechern fragen sich jetzt, ob ihnen vom Gras vorgelesen wird oder dem Gras von ihnen. Nur dann, wenn sie dies hier lasen. Die anderen begnügen sich damit, Gras zu fressen, es zu verdauen und auszuscheiden, ins Gras, selbstverständlich, und damit, Gras plattzuliegen. Das wiederum bevorzugt an Stellen, die von unverdaulichen, aus Rindviechern entleerten Überbleibseln verdauten Grases frei sind, jedoch von Gras bewachsen. 
Diese Rindviecher, zumeist Kühe, kommen morgens und abends nach (- und gehen vor -) dem Melken und halten sich ansonsten wie das Jungvieh und Mastbullen rund um die Uhr über, im und auf dem Gras auf, jenem Gras, dem ich über all das Gras und die Rindviecher vorläse, würde ich in einem Literaturforum wie ████ übers Kommentieren schreiben.
Im Übrigen ein rhetorisches Mittel, solch eine Wiederholung … :)
Ludwig Janssen 25.10.2010
 
 
 

2 Kommentare:

___________________ hat gesagt…

oh, das ist ein beitrag, so interessant! kritischer kommentar ... ja, ich mag, konstruktive kritik. will auf jeden fall noch mal lesen. danke für deine worte. mich interessiert auch die meinung anderer, ohne dass ich sie mir aneignen will, ohne dass ich diese meinung verändern will.

:Ludwig hat gesagt…

Danke für deinen Kommentar!