Sonntag, 7. April 2013

Was mir aus dem Wald nachfolgte (ins Schreiben)




Es ist tatsächlich so, dass Wald und Winter gemeinsam ganz schön ehrfürchtig machen, erst recht, wenn du Bäume fällst, die bedeutend älter sind als du selbst - und du genügend Hirn zwischen den Ohren und Gefühl im Bauch hast, das mit allen Sinnen wahrnehmen zu können.

Durch Goretex und atmungsaktive Unterwäsche drängt sich nach und nach, was schon unsere Urahnen unmittelbar die Verletzlichkeit ihres warmen Lebens spüren ließ, flutet die dicken Socken in den Schnittschutzstiefeln, kriecht unter das Hemd und zuletzt in dein Denken.. Da ist kein Platz für Reime, Wohlklang, Befindlichkeiten - das beißt ins Gesicht - durch die Sturmhaube hindurch, die Ohren tun weh, die Finger, na ja, was glaubt ihr, warum bei modernen Motorsägen die Griffe beheizt sind?

Bei einem Windwurf oder Schneebruch sind Stämme und Wipfel ineinander verkeilt, da stehen die Stämme unter Spannung - unverhofft könnte dir unterm Sägen im nächsten Moment ein aufplatzender Stamm katapultartig Brust oder Kopf wegreißen. Du weißt, du wärest nicht der erste. Da konzentrieren sich die Sinne darauf, wo und wie den nächsten Schnitt zu setzen und die nasse Kälte macht dir das schwer.

Das alles spielt sich tief in einem Wald ab, in dem sich zu der Zeit niemand aufhält, der nicht unbedingt muss. Schon 500 Meter von einer Bundesstraße entfernt fühlst du dich von der Umwelt abgeschnitten, da brauchst du keine Weltumseglung dazu, um dich klein, auf dich allein gestellt zu fühlen und als einsamer "Held" zugleich, der einem Titanen die Kinder aus dem Leib schneidet. Doch ist für solches Pathos keine Zeit. Nicht, wenn du den Fallkerb setzt, nicht, wenn du dich nach dem Fällschnitt aus der Hocke aufrichtest. Wenn du dann mit dem stumpfen Ende der Spaltaxt die Keile in den Fällschnitt treibst, achtest du schon wieder auf das Zittern im Baum, wohin der tatsächlich fällt, dass er sich nicht in den Wipfeln der Nachbarn verkeilt, ob er durchrauscht, hast das "Singen" im Ohr, wenn der Riese über die Bruchleiste kippt, das Prasseln über dir, den dumpfen Aufschlag und Bersten, Splittern.

Die Ruhe danach ist es, der kurze Moment Stille, in dem du dich stark fühlst, in dem du das Leben eines Riesen in der Hand hattest und zugleich schämst du dich ein wenig, wirst traurig, weil du spürst, was du da zu Fall brachtest. Dann suchst du schon die nächste Markierung.

Die Kolosse um dich herum drängen dich hinaus. Mit Schnee, Kälte, Nässe, Gefahren treiben sie dir die Kräfte aus und dich in so einen kleinen Bauwagen, wenn du Glück hast, ist da einer, sogar mit Ofen. Und dort, wenn die Wärme in die Glieder zurückkehrt und du nicht auf die Gefahren achten musst, wenn es da warm ist, nach Würstchen = Luxus
duftet, fällt mit der Konzentration aufs Durchhalten und Leisten auch alle Voreingenommenheit von dir ab. Da wirst du offen für Geschichten, werden die Männer um dich zu guten Freunden, und du achtest nicht auf Herkunft, sozialen Status, Intellekt - sie haben dasselbe durchgemacht wie du, dieser Kälte getrotzt, Gefahren überstanden und dir womöglich als die Erfahreneren da draußen gute Tipps gegeben.

Sie sind dir hier und jetzt wichtiger als alles andere.

Intensivstes Leben.

Davon nimmst du mit.

Heim.

In das andere Leben, das auch ohne dich und dein Erleben normal ist und doch unvollständig zugleich.

Vor dem Bildschirm erlebst du so etwas wie einen Kulturschock. Diese eigentlich vertraute Welt, so einfach in Selbstverständlichkeiten zu zerlegen, wirkt fremd. Das bringe einmal in wenigen Sätzen unter. Und erzähle davon! Erzähle Menschen davon, die nicht den Hauch einer Idee haben, was du erlebt hast, wie du die Welt siehst. Die vollauf mit sich selbst beschäftigt sind und damit, ihr Leben auf die Reihe zu bringen. Denen das ganze so über dem Kopf steht, dass sie nicht in der Lage sind, es auf wenige Worte zu verdichten. Menschen mit der kleinen, zittrigen Angst in sich, die eigene Selbstverständlichkeit zu verlieren, brauchen nicht dich, sie brauchen Gewissheit. Sind auf der Suche nach sich selbst, nicht nach dir. Wollen erfüllt werden.

Ich kenne nur wenige, die das auf eine Weise schaffen, die mich beeindruckt.

Ach ja: Wenn man also nach vier, fünf Stunden harter Arbeit in solch einem Bauwagen beieinander hockt, satt ist, der mickrige Ofen bullert und einer erzählt, dann lässt man den ausreden, fügt „hmhm“ hinzu oder was man sonst noch beim Kauen zustande bringt.

Einfach zuhören.

Einfach.

Zuhören.

Daheim, oder manchmal erst nach Jahren und „ganz woanders“, so wie jetzt ich, kann man darüber schreiben. Aber es prägt unmittelbarer, als man das schreiben kann.

Einfach.

Zuhören.




Ludwig Janssen © 3.12.2005

3 Kommentare:

sumpffuss hat gesagt…

hm

sumpffuss hat gesagt…

ich finde ja, diese Angst, die eigene Selbstverständlichkeit zu verlieren, ist nicht klein. Sie spielt, glaube ich, oft unbemerkt eine große Rolle.

Wie sieht das aus, die Welt in Selbstverständlichkeiten zu zerlegen? Kannst du mir ein Beispiel dafür geben, damit ich mir besser vorstellen kann, was du meinst?

Viele Grüße aus einem Wald, der taut und trocknet.

:Ludwig hat gesagt…

@Guten Tag, Mensch hinter dem Nick sumpffuss - zunächst danke für dein Nachfragen, auf das ich gern eingehe. Du spielst auf diese Passage an:
"...
so etwas wie einen Kulturschock. Diese eigentlich vertraute Welt, so einfach in Selbstverständlichkeiten zu zerlegen, wirkt fremd.
...",
nicht wahr?
Das mit den Selbstverständlichkeiten erstreckt sich über all die Dinge, die von uns kaum wahrgenommen werden, nicht hinterfragt, weil sie uns selbstverständlich erscheinen - ihr Dasein und ihre Verfügbarkeit erklären sich uns aus sich selbst heraus, also einzig aus dem Grund, dass sie da sind ... und verfügbar. Damit begnügen wir uns. Das gibt uns Sicherheit, gewährleistet dem Halt (und Orientierung), das wir unsere Persönlichkeit nennen. Diese Selbstverständlichkeit hinwiederum, die uns und unser Verständnis von der Welt umgibt wie eine Schale, setzt sich wiederum aus vielen kleinen Dingen zusammen, als Beispiel mag ich anführen, was wir gemeinhin "unser geordnetes Leben" nennen. Das setzt sich aus dem Zusammenspiel (wenn wir Glück haben, aus der Harmonie) vieler kleiner Selbstverständlichkeiten zusammen, Selbstverständlichkeiten die sich um sich selbst und um uns drehen, vermeinen wir.
Doch ist das ein höchst fragiles Gleichgewicht. Wir wissen, sofern wir so etwas wie eine Grenzerfahrung machten, sofern wir uns kritisch mit dem auseinandersetzen, was uns "wie selbstverständlich" umgibt, um die Fragilität dieses Gleichgewichts, wissen, dass es sich bei diesem Gleichgewicht um ein (so etwas wie ein) Fließgleichgewicht handelt, dessen Sinnhaftigkeit, Lage und Geschwindigkeit sich durchaus auch ändern kann - und auf ... in? ... dem unsere Persönlichkeit dem zutreibt, was wir als deren Ende betrachten.

Du schreibst in deinem Kommentar: "... diese Angst, die eigene Selbstverständlichkeit zu verlieren, ist nicht klein[...]spielt[...] eine große Rolle." Dem stimme ich zu. Hinzufügen möchte ich, dass sie dennoch eine kleine, zittrige Angst ist, die sich jedoch zu einer großen Angst aufbläht zu einer wie die "Verlustangst", wenn wir uns in Krisen wiederfinden. Das können Übergangsphasen sein, in denen sich unser Lebensumfeld verändert oder tiefer greifendere Krisen unseres Vermögens, uns in unserem Lebensumfeld zu bewegen bzw. zu orientieren.

Oft belächelter Selbstversuch des Ausschlusses einer Selbstverständlichkeit ist, dass du dich mit geschlossenen Augen im Raum zu orientieren versuchst. Du schmunzelst und meinst, dass dies Blinden durchaus gelingt? Du hast gedanklich ein dir fremdes Gleichgewicht erfasst und dessen im Vergleich zu deinem unterschiedliche Lage im Raum des Möglichen. Übertrage das (Gedankenexperiment)nun auf die "Selbstverständlichkeit" einer gesicherten Existenz, nimm hinzu (und schließe aus), was deiner Meinung nach zu einer gesicherten Existenz gehört.

Spannend wird's, wenn man sich den (eigentlich fragilen, aber unausweichlichen)Selbstverständlichkeiten (wie zum Beispiel das Wertedenken)anderer Menschen ausgesetzt sieht, mitunter auch ausgeliefert.

:)!