Montag, 25. März 2013

Dazwischen: Die Zeitlandschaft eines Gedankens

Die Zeitlandschaft eines Gedankens ...

Dass es die Gegenwart nicht gibt, davon schrieb ich bereits. Sie ist das zwischen Vergangenheit und Zukunft und eigentlich kann sie daher nicht dreidimensional sein, denn dann könnte man sie fassen. Allenfalls definieren lässt sie sich, indem man ein Stück Vergangenheit, eigentlich eher ein größeres, hernimmt und ein Stückchen Zukunft hinzudefiniert. Somit ergibt sich mit jeder Definition, die Gegenwart sicher zu fassen meint, eine umso größere Messungenauigkeit. Eine Ungenauigkeit, die sich mit der Näherung Gegenwart = 0 ebenfalls 0 annähert und mit dem Verzicht auf Gegenwart in der Gewissheit … verliert?, … findet?, … dass Gegenwart eine hypothetische Notwendigkeit bei der Konstruktion einer Aufenthaltsberechtigung im berüchtigten Hier und Jetzt ist. Man wahrt den Aufenthaltsberechtigungsschein und gibt sich gegenwärtig. Dass sich darum kaum wer groß Gedanken macht, den ich kenne, wusste ich schon.


Was mir aber noch viel mehr zu denken gibt ist, dass die Vergangenheit, von der ich behaupte, dass auch sie für mich dreidimensionales Wesen nicht existiert, beständig auf mich einstürmt. Grell, laut, lästig gibt diese olle Jungfer vor, dass sie die Jungfrau Gegenwart sei.

Hm, ich ahne verständnislose Blicke, nachsichtiges Lächeln auf unschuldigen Lesermienen, die sich denken: „Yoah, wolln wa ma kucken, watt der olle Janssen da wieder zusammenbraut, muss man ja nich versteh’n, vielleicht isett lustig“ – dabei passiert euch Lesern auch nichts anderes. Genau JET… (schon vorbei …).

Wollte ich über die Gegenwart schreiben, genügten eigentlich die berühmten drei Punkte


Fertig! Bitteschön, dreimal Vergangenheit, Herrschaften.

Du fragst: Warum? Aus welchem göttlichen Zeigefinger ich mir das wohl gesogen habe? Aus der Gewissheit, dass wir Menschen Gefangene unserer Sinne sind. Die arbeiten mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung, die es unmöglich, hm, besser so: die es un-mög-lich macht, dass wir auch nur die Ahnung einer Chance darauf hätten, Gegenwart korrekt zu erkennen, jetz… (schon vorbei!)

Warum auch? Schließlich kommt doch alles schon später bei uns an, also viel zu spät, um noch Gegenwart sein zu können, genauer das, was allgemein als Gegenwart herbeidefiniert wird. Beweise? Ihr wollt Beweise? Hm.

Nehmen wir die Sterne. Wer sich unter dem Sternenhimmel aufstellt und so schön hach! nach oben schaut, sieht: Vergangenheit! Da kommen ständig Photonen an, die zum Teil schon zigtausende von Jahren unterwegs waren, und just in diesem Augenblick auf Zäpfchen und Stäbchen treffen, so gerade rechtzeitig, meint der Mensch, dass gegenwärtig. Dabei schauen wir, legen wir unseren Kopf in den Nacken, in eine vierdimensionale Landschaft hinein, die uns zweidimensional erscheint (alle Sterne so schön nebeneinander, los, Foto!), und was sich da von uns Dreidimensionalen dreidimensional erfahren lässt, ist - eine Vergangenheitslandschaft!

Die Sterne sind zu weit weg? Astrogeschwurbel? Hm, gut …

Wie schnell ist Licht? Was sehen wir andres, wenn nicht Licht, das von einer Leuchtquelle aus auf Dinge trifft, von denen reflektiert und auf unserer Netzhaut wahrgenommen wird? Wie schnell ist Licht? Nein, das ist keine Quizfrage, es reicht schon, das so gefragt werden kann, so gefragt wird, um sich klarzumachen, dass Licht keine Standleitung ohne Zeitverlust ist. Und da wird auch klar, dass wir mit dem Schall und dem Hören gar nicht erst anfangen müssen – auch nicht mit dem Fühlen, denn … (später).

Von der Sonne, dem uns nächsten Stern, bis zu uns braucht das Licht 8 Minuten – Vergangenheit kommt bei uns an und macht hell.

Wenn ich dir ganz nah komme und wir uns in die Augen schauen, so bei dreißig Zentimetern, das ist Angucken ohne Schielen, ist noch nicht Knutschen, ist genau die richtige Distanz für einen tiefen Blick in die Augen, da braucht das Licht eine Nanosekunde, da sehe ich also ganz schön frische Vergangenheit, du, hm, und dabei forschten wir vielleicht in unserem Blick gerade nach der Zukunft. Nach der Z…(schon vorbei …).

Ja, ja, ja, denkst du dir, dann ist Gegenwart eben genau dann, wenn das Licht aufs Auge trifft …
Nein.

Der Vorgang, den wir Sehen nennen, und der ein winzipinzichemischer Prozess auf unserer Netzhaut ist, für jedes aufschlagende Photon, benötigt Zeit, ungefähr zweihundert Femtosekunden. Das Zentralatom Eisen deines Hämoglobins konnte in dieser Zeit ungefähr zwanzigmal hin und her schaukeln und Gott einen lieben Mann sein lassen. Du bemerkst also jedes einzelne Lichtteilchen mit zeitlicher Verzögerung – schönen Gruß aus der Vergangenheit.

In der Zwischenzeit ist’s ganz schön dunkel. Erst recht, wenn das ankommende und ja, ja, für sich (nicht aber für dich!) gegenwärtige Photon aus der Vergangenheit gerade aufschlägt. Ziemlich finster.

Und da sage noch einer, dass es die Zukunft sei, die im Dunkeln läge …

Warum: Zeitlandschaft eines Gedankens?

In Zeitlandschaften denken bedeutet, die Gleichzeitigkeit von nicht Gleichzeitigem zu erkennen. Zu diesem nicht Gleichzeitigen gehören die Auswirkungen großer kosmischer Ereignisse und deren Hineinwirken bis in unser Jetzt (eine, ich erinnere, Angelegenheit der Definition und schon ... :) …) hinein. Da brauchen wir nicht den Urknall hernehmen, da genügt, dass der Sauerstoff, den wir atmen, aus der Spaltung von Wassermolekülen stammt, die mit Kometen auf unserem glutflüssigen Planeten einschlugen und deren stetes Regnen mit der Zeit das Kohlendioxid aus der Luft wusch, das unsere Pflanzen zur Ernährung brauchen und als Ausscheidungsprodukt jenen aus dem von ihnen aufgenommenen und bei der Assimilation aus dem Wasser gespaltenen Sauerstoff des Wassers ausatmen. Wir, die wir geprägt wurden durch das, was die vor uns bzw. die mit uns lebten, atmen den ein, tragen den Cro-Magnon in uns wie den Fisch, der an Land ging, tragen unser limbisches System durch die Weltgeschichte - mit unserem rationalen Denken verwoben und so die Gleichzeitigkeit von Steinzeit und Moderne lebend. Das Wissen, dass an der Stelle, an der wir jetz..(:) einmal ein roter Riese sein wird.
All das ist Zeitlandschaft. Zeitlandschaft, die sich auch im Kleinsten findet, so in unserem Lesen (siehe die vorangestellten Ausführungen zu Licht, Reflexion und Verzögerung), das in einem Wahrnehmen aufgeht, das selbst wieder nichts anderes ist als das Nachleuchten von etwas Vergangenem wie deinem Gedanken, unserem Denken: Da generiert etwas auf Quantenebene das, was wir Wahr-Nehmung definieren: Elektronen schubsen sich durch die Neuronen und all das ist spurlos verschwunden, wenn wir es uns vergegenwärtigen wollen oder gemessen … haben. Irgendeine Auswirkung von etwas Vergangenem ist, woran wir festmachen, was Wirklichkeit ist im Sinne von Wirkungslichtgleichzeitigkeit:

Das, was wir denken, ist eine gleichzeitige Landschaft aus Vergangenem ─ und die Vorstellung etwas Möglichen darin Zukunft. Breite, Höhe und Tiefe darin sind nichts anderes als die rasche Folge von etwas Zweidimensionalem. Dieser rasche Wechsel gaukelt uns Dreidimensionalität vor – und dass wir hypothetische Dinge wie Gegenwart und Wirklichkeit im Griff haben, zumindest im beGriff, den meisten (bescheidenen Geistern) auch im beGreifen.

Wir Menschen sind defekte Zeitmaschinen.

Das zentrale Eisenatom unseres Hämoglobins übrigens, jedes dieser winzigen Dinger, mit dem wir den Sauerstoff aus der Luft aufnehmen und das Kohlendioxid aus dem Körper heraustransportieren, war das letzte Element, das ein Stern vor Urzeiten noch zu Lebzeiten erbrütete, bevor er in einer Supernova unterging …

Vielleicht hat das All uns nur geschaffen, um sich anschauen zu können, doch hätte dazu auch ein Frosch genügt. Vielleicht nahm es sich vor, auch noch über sich selbst nachdenken zu können.

Nä, nä, nä, oller Janssen, jetzt hab’ ich dich, meinst du? Willst mir sagen, dass das All sich ja noch nichts denken konnte und also sich auch nicht vornehmen, als es das alles möglich machte und mit dem Big Bang auf den Weg brachte? Tja, mhm, gut … Wenn aber das All das nicht konnte, und du nicht und auch nicht ich – wer dann?

 

Anmerkung zu Größenordnungen:
Lichtgeschwindigkeit = Höchstmögliche Geschwindigkeit in diesem Universum = ca. 299.792.458 m/s (Wikipedia)
Nanosekunde = Milliardstelsekunde (1:1000.000.000)

Femtosekunde = eine millionstel Milliardstelsekunde
„200 Femtosekunden fürs Sehen“ – Detail aus „Vom Wimpernschlag zur Ewigkeit“ von David Labrador in „Spektrum der Wissenschaft“

(Der Text hatte seinen Anfang als "Auf einem Gedanken durch die Zeitlandschaft")



 

Keine Kommentare: