Dienstag, 12. November 2019

Wortwahl. Strukturell dümmliches Nachplappern oder blanker Antisemitismus? Ein Pamphlet.


Wortwahl.

Die Wortwahl, das ist etwas, das wir, einen ausreichenden Wortschatz vorausgesetzt, haben. Und wer dann die Qual der Wahl hat, Autor oder Leser, ist offen.

Wie wir unsere Worte wählen, und welche wir wählen, das ist etwas, das Auskunft gibt über uns, über unsere Verfassung, die momentane sowie die verfassungsgebende innere Haltung. Über Rückgrat, über Haltungsschäden, über Boden- oder Käfighaltung. Die unserer Worte. Unserer Emotionen. Die schon mal ein Ei legen. Dann: Gackern.

Es gibt auch so etwas wie ein Wahlrecht. Wir haben nicht nur (wieder einen ausreichenden Wortschatz vorausgesetzt) freie Auswahl, wir sind sogar frei, die uns passenden Worte zu wählen um auszudrücken, was wir denken, von uns, von anderen – was wir reden oder schreiben, über uns, über andere.

So gesehen ist die Wortwahl etwas uns und andere Verortendes wie vielleicht die Wahl des Aufenthaltsortes, wie eine bestimmte Art sich zu kleiden: Man offenbart nicht nur, wo man sich aufhält, sondern auch die Grenzen, innerhalb derer man sich bewegt, Grenzen, die man anderen zuweist, Grenzen (schönen Gruß von Wittgenstein), die einem selbst auferlegt sind, Schranken, Einschränkung, Beschränkung, Beschränktheit. … die Beschränktheit meiner Welt. Hm, hätte er doch auch …

Es gibt Worte, die, wählt man sie aus und setzt sie ein, einem verwesenden Stück Fleisch gleich die Luft, den Raum eines Textes verpesten, die alles beherrschen, Worte, die jegliches Nachfragen erübrigen. Da gibt es ein Wort, das gleich ein ganzes Volk nicht nur in Frage stellt, sondern an den Pranger, es an den Platz zerrt, an dem der Abdecker es holen soll oder ein Arzt wie Mengele es herausschneiden. Ein Wort, das ein ganzes Volk ohne Ansehen des Einzelnen ins Meer stößt. Ein Wort, das im Vokabular der DDR-Offiziellen ebenso geläufig war wie in dem linker Gruppierungen des wiedervereinigten Deutschland, wie es ebenso geläufig dem Vokabular der Neoanazis, dem der Hamas, dem iranischer Hetzpropaganda ist:

Zionistisches Gebilde

Wer dieses Wort einsetzt, weiß, dass damit Israel gemeint ist. Nicht die Regierung, sondern das Volk. Jeder einzelne Israeli. Dieses Wort ist Antisemitismus pur, ist menschenverachtend, entwürdigend, ist, wozu Menschen, die es genau so und nicht anders haben wollen, es sich zurechtschmiedeten.

Vor einiger Zeit wurde in einem Text eines Literaturforums zweimal von diesem Wort Gebrauch gemacht.

Ich las, schluckte - und wartete auf Reaktionen. Reaktionen, die hinweisen, was dieses Wort besagt und anrichtet, Reaktionen, die klarstellen, dass dieses Wort zu jenen Wörtern gehört, die verzichtbar sind. Der Text, dem die Autorin diesen antisemitistischen Murks zufügte, wäre durchaus ohne diese menschenverachtende Polemik ausgekommen. Wo blieben sie, die Grass-Peitscher, die fleischgewordene schrumplige Antifa besagten Forums, die Abmahner strukturellen Antisemitismus‘, die Wortmimosen, die für jeden Furz nach dem Webmaster schreien mit: „Erlkönig hat mir ein Leids getan!“, wo? Was passierte?










… Nüscht …


Stattdessen:

[…]Was mich gestört hat, sind Textstellen wie diese:
„Oba, Cam und Merki sind Bluffer ...
Wo ist eigentlich Hili Clinti,“


in denen du die sonst sachliche Sprachebene verlässt und einen umgangssprachlich-kumpelhaften Ton anschlägst. Das passt überhaupt nicht.

Ansonsten ist es ein Text, der Klartext spricht. Gut.[/Quote]
 

omg … da war noch eine sprachliche Ebene, die wesentlich grottiger ist. 

[quote] […]WikiLeaks hat ja eindrucksvoll aufgezeigt wie sehr die USA im Irak um die Wahrung der Menschenrechte bemüht sind. Insofern gebe ich mich da keinen Illusionen mehr hin. In jedem Fall ein wichtiger und guter Text, […][/quote]

… und das zionistische Gebilde – geschluckt? Anstandslos. 

[quote][…] Und gut formuliert ist dein Essay auch. Könnte genausogut ein Kolumnentext sein. […][/quote] 

*kopfpatscht* „gut formuliert“ … auf welchem Auge blind, na … na? 

[quote][…] Ich finde, du hast gut recherchiert und einen sehr nachdenkenswerten Text geschrieben.
Ganz liebe Grüße,
[…][/quote] 

… wie wäre es dann mit ein wenig Nachdenken über die Formulierung „zionistisches Gebilde“ in diesem ach so sehr nachdenkenswerten Text? 

[quote][…] doch erst durch deine genaue Recherche sehe ich die Zusammenhänge klar.
Verdienstvolle Arbeit,
[…][/quote] 

Nun ja, wer hier pausbackig die Arbeit verdienstvoll preist, meint vielleicht den Essay, schließt jedoch zumindest in diese (hiermit fragwürdige) Auszeichnung die Diffamierung Israels als „zionistisches Gebilde“ billigend mit ein. 

[quote][…] ich hätte nur einen kleinen Änderungsvorschlag, nenne es statt Text besser Essay, denn Dein Werk ist (mehr als) eine geistreiche Abhandlung. […][/Quote]

… und ein ganzes Volk (das israelische) dem Propaganda-Vokabular von Neonazis und terroristischen Vereinigungen preiszugeben war dann wohl besonders geistreich abgehandelt?

Tja.

Hm.

O … M … G


Musst du, fragte ich mich, dir das unbedingt antun, dir wieder den Zorn und die Häme solcher Kappesköppe auf den Buckel zu schreiben? Musst du, gerade du, der du dich kaum um Politik scherst, die Klappe aufreißen und von Antisemitismus und struktureller Dämlichkeit schreiben? Musst du, gerade du, der sich nicht scheut, anderen mit dem rhetorischen Florett vor der Nase herumzufuchteln oder den Gürtel ihrer Wortsäcke zu durchtrennen, an einem polemischen Säbel Anstoß nehmen? Gar eine Kolumne darüber schreiben und andere mahnen, auf die Wortwahl zu achten? Nein, auf ihre Wortwahl, die doch eine freie ist und von deiner so verschieden wie Sonne und Mond? Das fragte ich mich in der zurückliegenden Zeit, in der ich zur Sache nur eine kleine Satire vom Stapel ließ, die wenig ausrichtete und lediglich einen der üblichen Verdächtigen veranlasste, sein Beinchen daran zu verheben.

Muss ich? Nein! Aber – ich hatte die Wahl. Welche ich traf, ist zu lesen. Wohlan, mein Wort, nimm Abschied – und gesunde. Und du, antisemitistische Killer-Phrase, bleibe außerhalb der Grenzen meiner Welt.

Nachtrag:

Das ist jetzt Jahre her.

Die Kolumne hing ab wie ein Fasan unter Vegetariern.

Tatsächlich fand keine Auseinandersetzung mit dem Gebrauch dieser menschenverachtenden Phrase statt. Der Text verschwand, als seine Autorin sich irgendwann später ab- und dann wieder anmeldete. Das Phänomen, dass niemand, auch nicht der Webmaster, unter besagtem Text und dessen schmalbrüstig billigenden Kommentaren Anstoß nahm, das Wort ergriff, ließ mich innerlich noch mehr Abstand von der sich schreibend kokonierenden Community nehmen, als die mit der Veränderung der Autorenschaft zunehmende Beliebigkeit und Verflachung der dort zu lesenden Texte es ohnehin schon bewirkt hatten.

Ich wurde sensitiviert für den Umstand, dass es innerhalb eines nur scheinbar geschlossenen Systems so etwas wie einen Konsens zu geächteten Wörtern gibt und dem Umgang mit ihnen. Da die intellektuelle Zusammensetzung einer sich Literaturforum brüstenden (bürstenden?) Community ein Fließgleichgewicht darstellt, verändert sich mit der Zusammensetzung der sich dort schreibend Veröffentlichenden der Pool geächteter Wörter, nicht jedoch besagter Konsens.

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