Samstag, 3. März 2018

Traum?

Mit freundlicher Genehmigung von Rittiner & Gomez, Spiez, CH



Salzige Luft. Wellen plätscherten. Ein strahlend blauer Himmel wölbte sich über Milla, über dem Strand. Warmer Sand schmeichelte ihren bloßen Füßen. Milla fand sich am Meer, an südlichem Gestade, stand mit ausgebreiteten Armen und hatte ihre Lider gesenkt. Eine sanfte Brise spielte in ihrem Haar. Am Ufersaum zu ihren Füßen spülte die anlandende See Mitbringsel an aus Dünung und Tiefe – Muschelschalen, zerschlagene Schneckenhäuser, Holzstückchen, Tang, den es aus seiner Verankerung gerissen hatte. Einen Seestern.

Milla schlug die Augen auf, genoss die friedvolle Weite, lauschte dem Kreischen der Möwen und ihr Blick folgte dem Tanz der Vögel über Strand und Meer. In einiger Entfernung machte sie etwas Rotes aus, das sich im anlandenden Wellenschlag wiegte. Milla meinte, auch etwas Blaues, einen menschlichen Umriss ausmachen zu können und ging darauf zu. Eine Puppe? Ein Kind! Das erkannte Milla auf den letzten Metern, rannte hinzu und erstarrte: Ein Kind, ertrunken. Die Wellen brachen gurgelnd und glucksend an seinem Köpfchen, gingen über den kleinen Leichnam hinweg und rollten mit jedem sachten Schlag den Ertrunkenen von einer Seite auf die andere. Milla sank in die Knie und betrachtete sein Gesicht. Mal trug es die Züge eines vielleicht fünfjährigen Jungen, dann wieder war das Antlitz eines erwachsenen bärtigen Mannes zu sehen, auf dessen bleicher Stirn Milla seltsame, vom Meerwasser aufgeweichte Male erkannte, die wie Stiche und Schnittwunden anmuteten:

„Hilfe!“

Gab es hier irgendwelche Hilfe, hier, wo offensichtlich jede Hilfe zu spät kam?

„Hilfe.“

Hilfe. Milla spürte ihre Hilflosigkeit, spürte, wie ihre Ohnmacht sich löste und beugte sich über den Jungen, um ihn in ihre Arme zu bergen …

„Milla!“

Milla hörte ihren Namen rufen und hielt in ihrer Bewegung inne.

„Milla!“

Der Ruf kam von See her, eindeutig – und zweifelsohne galt er ihr. Wer rief? Die Stimme war ihr fremd und doch auf eigenartige Weise vertraut.

„Komm!“

Milla zögerte.

„Milla, komm!“

Milla lief, lief los. Lief in die anlandende See hinein - und sieh! Der Wellenschlag trug sie, trug ihre weit ausgreifenden Beine und hob sie über die Dünung. Milla lief über das Wasser, immer schneller wurde ihr Schritt. Über das Meer, dem Horizont zu, von dem her die Stimme sie zu sich rief:

„Komm, Milla, komm!“

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