Samstag, 3. Dezember 2016

Der Tacheles und ich


Neulich, die Sonne schien noch warm und der Tag hatte ein Lächeln für mich übrig, da traf ich den Tacheles in Regensburg, wie er durch die Altstadt hetzte. Servus, was machst denn du hier, rief ich ihm zu und er hielt inne, erkannte mich wieder und kam zu mir. Unterwegs, meinte er, immer im Stress, immer bissi busy. Gestresst war er. Gar nicht gut schaute er aus, der alte Tacheles. Zaunnageldürr, blass, die Haare hingen in Strähnen von der Stirn, sein Blick flackerte unruhig aus tiefen Augenhöhlen und die Haut schimmerte bläulich aus faltigen Schluchten.

Und – wie laufen die Geschäfte, Tacheles? Immer schön freundlich sein, dachte ich mir, Tacheles kann bekanntlich ziemlich ungemütlich werden.
Der dürre Kerl grinste zufrieden:
Alles bestens! Ich komme viel herum, bin ja Allerweltssprachler, der Universalschlüssel zur Lösung zwischenmenschlicher Probleme und kenne alles und jeden durch und durch. Man liebt mich! Ich bin die unverblümte reine Wahrheit, ich bin der, der unbedingt gesagt gehört – ich bin ihr Gott! Und neben mir, du weißt schon –

Du arrogante Sau, dachte ich so bei mir.

Die stille Aussprache unter vier Augen kam mir in den Sinn und wie schön sie ist, wenn sie ihr langes, geduldiges Wort offen trägt.

Ich habe’ auch keine Zeit, wollte er mir schon davonspringen, doch ich hielt ihn an der Jacke und lud ihn ein, sich zu mir zu setzen. Das Straßencafé hatte die Bestuhlung noch nicht verräumt, die Bedienung war hübsch, das Wetter schön, und so lud ich ihn ein auf eine Tasse Tee. Tee ist gut, meinte Tacheles, da hab ich Pause, da will niemand mich reden. Da wird nur „geplaudert“, zog er verächtlich die Mundwinkel nach unten.

Da saß ich also mit dem Tacheles an einem Tisch, mitten im Getümmel, und die Leute schauten ein wenig irritiert zu uns herüber. Nicht einer wagte es, mich auf den blassen Tacheles an meiner Seite anzusprechen. Fühlt sich ein wenig nach Respekt hat, dachte ich. Natürlich setzte sich auch niemand zu uns, aber das störte nicht weiter.

Ja, gönn’ dir doch mal eine Auszeit, verströmte ich schultafelgrüne Gelassenheit, schob ihm den Zucker rüber und fragte, warum er nur so dermaßen gehetzt wirke.

Tacheles schaute mich groß an. Ja, hast du denn überhaupt eine Ahnung, was ich durchmache? Die ganze Zeit will mich wer reden, natürlich nicht, wenn’s mir passt, sondern wenn er meint, dass die Gelegenheit günstig wäre, und so hetzte ich von einem „günstigen“ Zeitpunkt zum nächsten. Dann redet man mich einfach drauflos, und ich allein soll die Karre aus dem Dreck ziehen. Und noch schlimmer – meistens versetzt man mich, kaum dass ich da bin, lässt mich fallen, sogar vorsätzlich und aus gutem Grund!

Dabei …

Sag mal, Tachilein (das Flackern in seinen Augen wurde zum Flimmern), warum auch lässt du dir das gefallen? Worte sind doch nur Schall und Rauch – und wenn du das noch länger mitmachst und dich von jedem Heini daherreden lässt, blüht dir dasselbe. Schließlich wirst du ja bloß daher geredet und weder gemalt oder gehört. Überhaupt, hat schon mal irgendein Mensch erklärt, dass er dich gehört hätte, hä?

Verschwörerisch beugte ich mich zu ihm hinüber. Alter, raunte ich, das geht auf Dauer nicht gut aus mit dir. Das darfst du dir nicht gefallen lassen, legte ich meine Hand auf seine kalte Pratze. Und hat dich schon irgendwer ernst genommen, war da auch nur einer dankbar, dass du immer zur Stelle bist und er dich der Welt vor die Füße rotzen kann?

Sah so aus, als würde Tacheles nachdenken. Ich hakte nach:

Fällt dir nie auf, dass das Schwätzer sind, die dich da reden, die sich nicht darum scheren, ob du auch willkommen bist, angenommen wirst, redete ich mich in Rage.

Tacheles hob beschwichtigend die Hand, als wolle er etwas einwenden.

Die schwadern eine Blase nach der anderen, blubbern dich einem anderen um die Ohren, der sich aber nur so was von einen Schoaß für dich interessiert, dass du in der Mitt’n verreggst.

Tacheles zuckte sichtlich zusammen, drückte sich im Stuhl nach hinten.

Und das alles keena deise Windbeidl, dei gscherten Zwiedawuazn nur mocha, weilst dou des mit dir moocha lässt, du Oaschlooch!!!

Jetzt kippte Tacheles mitsamt Stuhl hintüber und klatschte mit dem Hinterkopf aufs Pflaster, dass es nur so knackte.

Lag da und glotzte.

Ja, was starrst du mich so an? Bin etwa ich hier das Hirngespinst? Wie ist das, wenn man so den Spiegel vorgehalten bekommt, hä? Ich will ja nur dein Bestes, Alter, aber es wurde höchste Zeit, dass dir jemand sagt, was Sache ist! Tacheles’ Gesichtsfarbe wechselte von blassblau zu gelbgrün.

Er rappelte sich hastig auf, stolperte über den Stuhl, den er, rücksichtslos wie er ist, natürlich hatte liegen lassen und nestelte an seiner speckigen Westentasche: Ach, mein Pieper, muss los, da will mich wieder wer – Tschü - hühsss …

Ja, ja, holte ich Luft, doch Tacheles sprang schon die Untere Bachgasse hinunter und verschwand in der Menge. Wahrscheinlich völlig aufgelöst in Schall und Rauch.

Derweil kam das Lächeln unter vier Augen auf mich zu und nahm mich tröstend in sein offenes Wort.

Also, wenn da wer mit dir, du weißt schon, bestell Tacheles einen schönen Gruß von mir …


Ludwig Janssen © 6.10.2007

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