Montag, 26. Januar 2015

Planten!

Ich bin!

Vor sich hin sonnend, ganz sie selbst steht sie im Zentrum eines eigenwilligen Objekts. Wim Wouters hatte sie in das mittlere der kreisrunden Beete gepflanzt.

Von diesem Beet aus zieht eine Spirale großer, dunkler Flusskiesel in neun Kreisen ihre immer weiter werdende Bahn, angefüllt mit dem strahlenden Weiß gebleichter Kieselsteinchen. Diese scheinen in ihren säuberlich geharkten Strichen die unangenehme Gewissheit schmirgelnden Knirschens zu bergen. Allein dessen Gegenwart reicht aus, das große Rund nicht ungefragt zu betreten.

Neun kreisrunde Beete unterschiedlicher Größe unterbrechen den Spiralarm auf seiner Bahn und ordnen sich im Rund zu einem ausgewogenen Muster.
Wim hatte sie mit Bedacht bepflanzt, und so gedeihen von innen nach außen Lavendel, dann rote Rosen, Brennnessel, Borretsch, ein Wacholder, Akelei, Schlafmohn und eine Eibe. Nur das dritte Beet scheint leer, die Erde sorgsam gelockert, mit einem Abdruck von Wims Gummistiefeln.

Ich bin! Dieses strahlend satte Gelb zieht meine Aufmerksamkeit auf sich, als wir uns an diesem frühen Sommerabend auf der Bank fläzen, einen guten Roten und genügend Ausreden zur Hand, keine Mühe als die tiefschürfender Gedanken an uns heran zu lassen.

So satt, zufrieden und geradezu selbstgefällig strahlt sie mir dort im Zentrum aus voller Blüte entgegen und reizt meinen weinschweren Widerspruch: „Ist das wirklich eine Sonnenblume?“

Wim schaut mich verdutzt an, zwischen seinen Augenbrauen zwei Falten zum untrüglichen Beweis, dass er gerade am Ernst meiner Frage zweifelt, wenn nicht gar an meinem Verstand. Zum Glück nur kurz, dann klaren seine Züge auf mit einem Lächeln: „Sicherlich!“ Mit großer Geste setzt er das Glas an und trinkt.

“Warum?“

“Warum – was?“

“Warum steht diese Pflanze dort für die Sonne?“

“Weil das eine Sonnenblume ist.“

“Aha!“ Der Wein, die Abendstimmung und der leicht gereizte Unterton in der Stimme meines Freundes aus Groesbeek in Gelderland vermengen sich zu ungewollt überheblicher Wirkung - ein paar energische Schritte über den empört aufknirschenden Kies und ich stehe vor ihr, zupfe eines der goldgelben Blütenblätter vom Korb und halte es Wim entgegen: „Ist es das hier? Macht etwa das hier eine Sonnenblume aus?“

Nun hat Wim mindestens ebenso viel Wein intus, den gleichen Tag hinter und denselben milden Abend vor sich. Wieder spritzt weißes Knirschen und schon baut er sich vor mir auf: „Was machst du da?“
Ich zupfe ein weiteres Blütenblatt ab und halte es ihm vor die Nase: „Macht dieses Blütenblatt eine Sonnenblume aus dieser Blume? Oder dieses hier? Oder dieses?“ Ein ums andere Goldgelb segelt zu Boden.

Das war zuviel. Wim läuft rot an, packt den Blütenkorb, reißt ihn ab und mit einem zornigen: „Het zijn maar planten!“ schleudert er ihn aus dem Garten.


Genau der richtige Moment, kein falsches Wort zu verlieren.

Wir setzen uns wieder auf die Bank. Vermeiden, dass sich unsere Blicke treffen. Schweigen. Ich stehe auf, nehme die Harke und streiche die bleichen Kiesel in ordentliche, gerade Linien. Dann kehre ich zur Bank zurück. Wim lächelt: „Sie ist immer noch eine Sonnenblume!“

Du hast Recht, Wim. Doch was machen wir, wenn jetzt jemand kommt und uns fragt, was eine Sonnenblume ist, wie eine Sonnenblume aussieht? Was soll ich darauf erwidern? Das hochmütige, satte Gelb im Zentrum von Wims Spirale fehlt mir. Ich schäme mich ein wenig. Auch wenn ich jetzt anders über Sonnenblumen denke und andere Zerbrechlichkeiten, die ganz sind und doch wieder nicht.

“Hey!“ Wim stößt mich mit dem Ellenbogen an: „Was unternehmen wir jetzt wegen der Rosen?“

Ludwig Janssen © 31.1.2006

Veröffentlicht in „Der Sperling – Magazin für Literatur und Kunst“, Engelsdorfer Verlag, ISBN 3-939404-29-2

2 Kommentare:

Regenkatse hat gesagt…

Cholerische Nichtholländer sollten Blomen lieber von Weitem entbehaupten. :D

Eine schöne Geschichte um das Wesen der Dinge, die uns umgeben, Ludwig!

:Ludwig hat gesagt…

Danke schön. :)

Blumen reimt sich auf
Bitumen, wenn es heiß ist
klebt und lebt nicht
aber Blumen, wenn sie nicht
gepflückt od. reingedrückt
leben reimlos glück
lich an Straßenrändern
Wer wollt's auch ändern?

Hehe :)