Freitag, 18. Juli 2014

Flugbegleiter

Nicht, dass es etwas Ungewöhnliches wäre, am Ende eines verträumten Tages einen schlafenden Mann anzutreffen, führen doch Sommerspaziergänge durch den Bayerischen Wald ab und an zu den ungewöhnlichsten Winkeln. Die tun sich auf hinter der nächsten Wegbiegung und schließen sich hinter dir mit dem nächsten Schritt.

Da sah ich ihn liegen. Auf einer frisch gemähten Wiese am Waldrand. Auf den ersten Blick war er mir vertraut, hatte ich ihn doch bereits schon einmal liegen sehen und schlafen, auf einer Bank, im Flughafenterminal eins, in einer Geschichte Andreas Louis Seyerleins. Wieder trug er ein hellblaues Hemd, wieder barfuß, ein Paar Schuhe neben sich.

Neugierig, ob er auch mir der einzige Mensch bleiben würde, dessen Augen ich nie geöffnet sah, trat ich näher. Ich erkannte das ergrauende Haar bereits seinen Hinterkopf preisgeben, auch, dass ihm ein prächtiges Bäuchlein knospte und – dass seine Augen geschlossen waren, für schlafende Menschen nicht ungewöhnlich. Dann sah ich es:

Der Rücken des hellblauen Hemdes wirkte ein wenig ausgebeult, barg es doch ein Paar auf dem Rücken gefalteter Flügel. Es handelte sich sehr wahrscheinlich um einen Flugbegleiter. Flugbegleiter sind im Andersen'schen Sinne gute Gefährten, welche, ruhen sie auf einer Bank oder einer frisch gemähten Wiese und deine mitfühlenden Blicke auf ihnen, von der Kraft zurück gewinnen, die sie während der Begleitung verloren. Und ja, würden wir je in ihre geöffneten Augen schauen, würden wir in ihnen das Ziel all unseres Reisens erblicken - und unglücklich zurückbleiben, entweder zu früh trauernd - oder uns zeitlebens sehnend.

Ludwig Janssen © 18.7.2014


 

2 Kommentare:

Regenkatse hat gesagt…

Eine wunderschöne Geschichte, Ludwig.
Liebe Grüße
Llu ♥

:Ludwig hat gesagt…

Danke schön! :)