Der literarische Raum zwischen Bits und Bytes, unendliche Weiten. Wir
schreiben das Jahr 2014. Dieser Text ist gewidmet dem Gedenken an ein nicht
sicher als solches auszumachendes Raumschiff, das mit einer unbekannten Anzahl
an Besatzungsmitgliedern unterwegs war, um fremde Galaxien zu erforschen, neue
Paralleluniversen immerzu - und gelegentlich sich selbst neu zu erfinden und die
Wertvorstellungen fremder Zivilisationen auf den Prüfstein zu heben.
Sein Name: Koka. Sein Kapitän: mir unbekannt, aber nahe – und lieb. Sein
Schicksal: mir unbekannt. Ich selbst betrachte es als verschollen.
Die letzte Nachricht lautete, dass der Ausdenker hinter all dem verstorben sei
und daher ein Fortgang der Reise nicht zu erwarten ist.
In einem deutschsprachigen Literaturforum, dessen Dunkel einen Teil der baryonischen Materie
jener neu erschaffenen Paralleluniversen abbildet, las ich, dass jemand, der
sich als (Ex-?) Frau besagten Ausdenkers offenbarte, beabsichtigt, sämtliche
Koka-Accounts zu löschen.
Das bedaure ich sehr. Denn in den Kunstfiguren, die der Mensch schuf, lebt
von seiner Kreativität weiter. Der hier Beschriebene schließlich beschränkte
deren Wirken nicht auf Texte allein, sondern er wirkte zugleich ein soziales
Geflecht bis hinein in die Sphären, die gemeinhin als das "Real Life"
bekannt sind und das so genannte reale Leben vorgeben zu sein. Er bewegte sich
also in einem Grenzbereich. Schuf dort eine Schnittmenge Mensch/Virtualität des
Internets.
Woran es der Realität des Internets mangelt, ist Physis.
Im Internet tummeln sich diverse virtuelle Präsenzen real existierender
Menschen mit ihren Ängsten und in all ihrer Unvollkommenheit.
Virtuelle Präsenzen von Menschen, die an einem stillen Waldsee zwar ihren
Zeh ins kalte Wasser tauchen würden, sich selbst jedoch nie weiter als bis zu
den Knien hinein trauen würden, wenn, ja, wenn sie das könnten. Bis zu den Knien
hinein waten in die Virtualität des Internets, die schlichtweg nicht mehr ist als
eine weitere Facette der Realität und somit des realen Lebens.
In der Internet-Community besagten Forums* finden Sie, was charakterliche
Integrität, Vorstellungs-, Abstrahierungsvermögen und emotionale wie auch
rationale Intelligenz angeht, einen möglicherweise repräsentativen Spiegel
unserer Gesellschaft. Demnach, ungeachtet Alter und Bildung, finden sich dort
wie überall nur wenige Menschen, die andere Wertvorstellungen als die eigenen
nicht nur gelten, sondern auch gewähren lassen können.
Auf das Bild des Waldsees bezogen ist der Großteil der Menschen, ob sie
jetzt auf besagtem Internetforum unterwegs sind oder irgendwo im deutschsprachigen
Raum, darauf bedacht, die eigene ichbezogene Präsenz im Gleichgewicht zu
halten. Der Spiegel des Waldsees, in dem er sich betrachtet, spiegelt ihm das
eigene Bild als einzig mögliche Realität. Ist der Narziss in ihm ein kleiner,
wird er aufblicken und auch die Welt um ihn herum im Spiegel des Wassers
abgebildet sehen. Taucht er den dicken Zeh hinein, wird dieses Bild gestört - er
wartet, erwartet, dass die kleinen Wellen sich legen und das gewohnte Bild
erscheint. Das seiner Präsenz am See.
Diese Präsenz beschränkt er auf seine Körperlichkeit, derer er sich sicher
wähnt, und auf das, was er seinen Geist nennt und seine Seele.
[Exkurs:]Körperlichkeit, Geist, Seele. Schon haben wir eine in jedem von
uns angelegte Dreieinigkeit, eine, die dazu verführt, sich Gott gleich zu
wähnen bzw. als den sich selbst einzig wahren Gott unter Milliarden Göttern.
Die Folge: Hybris. Und, da man sich niemanden als sich selbst zu Rechenschaft
verpflichtet sieht, Missachtung des anderen. Ausgerichtet auf nichts anderes als
nur das zu tun, was den Aufenthalt und die freie Beweglichkeit innerhalb der
Gesellschaft gewährleistet. Bezogen auf das Literaturforum: Beachtung,
Anerkennung finden, nicht gekickt werden. [Exkurs Ende]
Was all das mit Korbinian Karth zu tun hat?
Der Mensch, der die virtuelle Präsenz "Korbinian Karth" schuf und
auch die virtuelle Präsenz "John William", bewegte sich wie schon
erwähnt in einem Grenzbereich. In einem Grenzbereich, einer Schnittmenge, die
er selbst schuf - sich selbst und anderen, eigentlich jedem, der ihm im
Internet begegnete. (Besser: jeder virtuellen Präsenz begegnete, der seine
eigene virtuelle Präsenz im Internet begegnete - Avatare, Stellvertreter,
Götter). Er wirkte darüber hinaus ein soziales Geflecht bis hinein die Sphären,
die gemeinhin als das so genannte reale Leben bekannt sind und als für wahr
angenommen werden.
Physisch konnte er diese Begegnung nicht leisten. [Physis ist das, was der
virtuellen Welt abgeht, und dies auf eine Weise, die sowohl schlichten als auch
hässlichen Gemütern den Schluss nahelegt, dass diese nicht wirklich sei, ja,
nicht existent.] Doch fand das statt, was man Begegnung nennt, es fand das
statt, was man Kommunikation nennt. Reale Begegnung, reale Kommunikation - mit
einer virtuellen Präsenz.
So etwas ist gar nicht ungewöhnlich.
Und so und darüber hinaus fand das statt, was man die Entstehung von Welten
nennen mag. Diese neu entstehenden Welten, Paralleluniversen, befanden sich
nicht mehr allein innerhalb der physischen Existenz des Ihnen vertrauten
Ausdenkers von "Korbinian Karth", "John William",
"Koka" und Whosoever, sie erstanden und bestanden innerhalb der
physischen Präsenz anderer Menschen, und dort innerhalb des jeder physischen
Präsenz zugestandenen Vorstellungsvermögens. Vorstellungsvermögen, ein
Vermögen, das (so gering es auch sein mag) oft eifersüchtig, ja ängstlich
gehütet, gehortet, bewahrt wird, in Tresoren, Schatzkammern, von eifersüchtigen
Drachen und den Dagobert Ducks dieser Welt gehütet. Die, was das
Vorstellungsvermögen angeht, Materialisten unter den Idealisten machen an
diesem Schatz sogar ihr eigenes psychisches Gleichgewicht fest.
Der Mensch, den ich als den Erschaffer des Korbinian Karth vermute und der
mir nie anders als über die von ihm geschaffenen virtuellen Präsenzen begegnete
und über das, was er seinen Geschöpfen von sich, seinem Wünschen und Werten
mitgab, machte, wagte also mehr, als seinen dicken Zeh in das Wasser des
Waldsees zu tauchen: Er schlüpfte in seine Geschöpfe und begegnete Menschen, die
der physischen Existenz und Verantwortlichkeit begegnen wollten. Der physischen Existenz hinter den
Texten eines Koka, hinter den Mails eines John William als eine weitere
virtuelle Präsenz, auf einer zweiten, ebenfalls virtuellen Ebene.
Bezogen auf den Waldsee waren und sind [mir!] Korbinian Karth, John
William, Koka nur von einem Unbekannten erschaffene Wesen, die sich, Nymphen
gleich, in jenem Waldsee tummeln. Die einen erfreuen sich an ihrem Anblick, die
anderen fühlen sich gestört, wenn einer dieser Schemen auf eben jener zweiten,
tieferen Ebene ihren Blick kreuzt und im eigenen, liebgewonnenen Spiegelbild der
ängstlich gehüteten Vorstellung erscheint, nicht gerufen wurde und doch zugleich
unübersehbar ist. Wieder andere lassen sich von diesen Nymphen ins Wasser ziehen. Darunter
auch Nichtschwimmer. Unter diesen ausgewiesene Kampftaucher, die im Waldsee
bislang nicht mehr als ein Planschbecken vermuteten und reichlich Wasser
schlucken.
Das hat zur Folge, dass von denen, die so etwas wie Berührung mit diesem
Phänomen (und nicht dessen Ausdenker) hatten, auf dessen Wirken und Schicksal
unterschiedlich reagiert wird. Die Mehrzahl der Reaktionen beziehen sich jedoch
auf den vermuteten Unbekannten hinter dem Phänomen und nicht auf das Phänomen
selbst. Sie sind daher in ihrer Anlage auch nicht anders anzusehen als
Hirngespinste bzw. virtuelle Präsenzen selbst gesponnener Hirngespinste. Sie sind in Personalunion
Echo ihrem eigenen Narziss am See. Und, wie ihre Entsprechung in der
griechischen Mythologie, ihrem Geliebten, der ihre Umarmung verschmähte, ja,
in diesem sich selbst und anderen nur Stimme und Fels, während Narziss sein Spiegelbild
im Waldsee betrachtet – und es für wahr wähnt. Ein Trauerspiel.
An dieser Stelle nun führe ich von meinen eigenen Versuchen der Begegnung
mit dem Menschen hinter dessen virtuellen Präsenzen an:
Für mich zählte immer der mir unbekannte Mensch hinter der virtuellen
Präsenz, und schrieb ich dem Menschen, der sich mir als Korbinian Karth oder John William (und von sich?) zu erkennen gab, kommunizierte ich mit jenem Unbekannten
über das Medium seines Geschöpfes. Dessen war ich mir stets bewusst. Ich machte
deutlich, dass all das sein durfte, solange nicht ein real existierender Mensch
zu Schaden käme, physisch und oder psychisch. Ich zeigte auf, dass dies nicht
immer der Fall war, dass unter den Nichtschwimmern unter den Haltern einer virtuellen
Präsenz auf █████ durchaus schlichte romantische Gemüter zu finden sind, die das
hinter dem sicher Virtuellen als sicher physisch real annehmen, die sich in die
virtuelle Präsenz Korbinian Karth oder in die hinter dieser angelegten
virtuelle Präsenz John William verlieben - und mehr als das Wahrnehmbare
hineinlegen.
Was mir der hinter Korbinian Karth zu findende, jedoch verborgene Mensch
hierzu mitteilte, behalte ich für mich. Doch das Phänomen ist nicht neu, dass
Menschen sich in ein künstlich geschaffenes Werk, ein Kunstwerk verlieben und
dies mit Auswirkungen, die tief in ihre physische und psychische Präsenz
hineinreichen. Scherte es einen Goethe, dass sich sein „Die Leiden des jungen
Werther“ und die Kunstfigur, das virtuelle Geschöpf darin in ungezählten
Menschen verselbständigten, etliche sich wie Werther gekleidet gaben und einige
sich wie dieser umbrachten?
Tragisch: Dass nie – und erst recht nicht von jemandem, der nicht der physisch
präsente Ausdenker der virtuellen Präsenzen war oder ist, sicher herausgestellt
werden kann, welche Entsprechung der wahre Mensch in seinen virtuellen Geschöpfen
hat, ob nun bewusst oder unbewusst angelegt.
Ja, selbst die Menschen, die dem physisch gegenwärtigen Menschen und
Ausdenker seiner virtuellen Präsenzen im realen Leben begegneten und ihm
vertraut waren, sind seinen virtuellen Geschöpfen, seinen literarischen und virtuellen
Geschöpfen, Kunstfiguren, fern.
Entlarvend interessant: Den Reaktionen auf die Nachricht des Ablebens eines
Ausdenkers virtueller Gestalten auszulesen, wie es um Integrität, Anstand und
Kompetenz der sie Äußernden bestellt ist, von deren rationalen und emotionalen
Intelligenz ganz zu schweigen.
Allen Menschen steht frei, virtuelle Präsenzen und deren Wirken zu pflegen,
zu leugnen, zu lieben, zu hassen. Allem Menschengeist, und in jedem von uns
steckt ein mehr oder weniger gerüttelt Maß davon, steht frei, sich in der ihm
möglichen Fülle zu entfalten.
Was ich selbst dem Menschen zu- und nachrufe, der die virtuell realen, die nachhaltig
wirkenden und somit wirklichen Präsenzen Korbinian Karth, John William et. Al. schuf,
ist, dass er eine Geschichte erzählte, ein Kunstmärchen, eine Geschichte in der
Geschichte - und Geschichten in den Geschichten anderer inspirierte und sich
inspirieren ließ: Well done!
Und seinen virtuellen Präsenzen? Kein „Ruhet in …“, sondern: „Gehet hin in
Frieden!“
Ludwig Janssen und dessen virtuelle Präsenz © am 9.3.2014
* Anmerkung: Durch den Eigentümer der Plattform und Webmaster wurde und
wird gebetsmühlenartig bekräftigt, dass es sich wider allen selbst gegebenen
und gepflegten Anschein NICHT um ein Literaturforum, sondern um eine Community
handelt.
** Auf den Malediven bedeutet Koka Schmetterling.
1 Kommentar:
Danke, Ludwig.
Die Metapher vom Waldsee ist eine sehr passende Metapher. Eine wunderschöne Metapher.
Gerade heute stand ich an einem. Und hab ihn fotografiert.
Gleich werde ich sehen, ob und was er mir gespiegelt hat.
Liebe Grüße
Llu ♥
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