Sihoskla streicht sein unrasiertes Kinn, zieht an der Wasserpfeife und lehnt sich in fließender Anmut in die Kissen. Der Blick seiner dunklen Augen streicht über die große Schar der Zuhörer, die sich in mannigfaltigem Geplätscher und Gluckern ergeht.
Brunnen erschließen die Tiefe, ermöglichen, Wasser zu
schöpfen an Stellen, an denen Oberflächlinge keines finden, weil sei es weder
vermuten noch suchen noch die geringste Anstrengung machen zu graben.
Still ist es in Brunnen, meint Sihoskla. Wenn an der
Oberfläche der Wind weht, die Welt dreht, unzählige, nahezu immer gleich grüne
Blätter rauschen oder die Luft prall gefüllt ist mit Lärm und Geschrei, dann
scheint es, als habe die Stille sich in die Brunnen zurückgezogen und warte, wie
das Wasser, von Menschen geborgen zu werden, die dürstet.
Manche Brunnen speisen Wasserspiele. Die sind den Menschen
lieb, die nicht dürstet.
Sihoskla lauscht. Unermüdlich drehen nasse Lapislazulikugeln, schimmern von
Zwanzig-Watt-Birnchen illuminierte feuchte Bergkristalle, plitschert
Leitungswasser, enthärtet, mit Algenmitteln versetzt, winzige Treppchen herab
und ergeht sich über plastilinen Waschbrettchen in gleichförmiger Welle.
Kaskadentreppchen enden nach wenigen Zentimetern Aufstieg im freien Raum -
wirken verirrt, verlassen, verloren - aufgegeben.
Menschen gehen zu Brunnen, werfen etwas hinein und wünschen
sich was. Auch diese Menschen dürstet nicht, sonst ginge ihr Wunsch in
Erfüllung. Unter ihnen sind solche, die Durst nur kennen, wenn sie selbst ihn
verspüren. Mit dem Wasser des Brunnens können sie nichts anfangen. So werfen
sie alles hinein, was dem gierigen Blick ihrer Wünsche entbehrlich erscheint
oder wertlos.
Doch gibt ein Brunnen nicht mehr und nichts anderes zurück
als Wasser. Wasser, das ihm in der Tiefe
zuströmt.
Haben nun die Menschen einen Brunnen ausgemacht, reichlich mit
ihren Entbehrlichkeiten und Wünschen versehen und die Erfahrung gemacht, dass
er kein Wunschbrunnen ist, schmähen sie ihn seines Wassers wegen, beschweren
sich, dass es nach dem Zeug schmeckt, das sie hineinwarfen.
Brunnen sind wehrlos.
Hach, plätschern die geschwätzigsten der Zimmerbrunnen aufgeregt
durcheinander, gerade so ergeht es mir!
Sihoskla nimmt einen Zug aus der Wasserpfeife, schließt die
Augen und wünscht sich weit fort ... an einen Brunnen.
Ludwig Janssen © 11.7.2008
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