Samstag, 17. August 2013

Sihoskla erzählt: Die wahren Brunnenvergifter (Vor Zimmerbrunnen)

Es gibt nicht viele Brunnen.

Sihoskla streicht sein unrasiertes Kinn, zieht an der Wasserpfeife und lehnt sich in fließender Anmut in die Kissen. Der Blick seiner dunklen Augen streicht über die große Schar der Zuhörer, die sich in mannigfaltigem Geplätscher und Gluckern ergeht.

Brunnen erschließen die Tiefe, ermöglichen, Wasser zu schöpfen an Stellen, an denen Oberflächlinge keines finden, weil sei es weder vermuten noch suchen noch die geringste Anstrengung machen zu graben.
Brunnen wirken befremdlich an Orten, an denen kein anderes Wasser ist. Wirken befremdlich, weil sie tief sind und dunkel, unergründlich. Weil ihr Wasser so anders ist wie es kühl ist. Das Wasser jedes Brunnen hat einen ganz eigenen, unverwechselbaren Geschmack. 

Still ist es in Brunnen, meint Sihoskla. Wenn an der Oberfläche der Wind weht, die Welt dreht, unzählige, nahezu immer gleich grüne Blätter rauschen oder die Luft prall gefüllt ist mit Lärm und Geschrei, dann scheint es, als habe die Stille sich in die Brunnen zurückgezogen und warte, wie das Wasser, von Menschen geborgen zu werden, die dürstet. 

Manche Brunnen speisen Wasserspiele. Die sind den Menschen lieb, die nicht dürstet.

Sihoskla lauscht. Unermüdlich drehen nasse  Lapislazulikugeln, schimmern von Zwanzig-Watt-Birnchen illuminierte feuchte Bergkristalle, plitschert Leitungswasser, enthärtet, mit Algenmitteln versetzt, winzige Treppchen herab und ergeht sich über plastilinen Waschbrettchen in gleichförmiger Welle. Kaskadentreppchen enden nach wenigen Zentimetern Aufstieg im freien Raum - wirken verirrt, verlassen, verloren - aufgegeben. 

Menschen gehen zu Brunnen, werfen etwas hinein und wünschen sich was. Auch diese Menschen dürstet nicht, sonst ginge ihr Wunsch in Erfüllung. Unter ihnen sind solche, die Durst nur kennen, wenn sie selbst ihn verspüren. Mit dem Wasser des Brunnens können sie nichts anfangen. So werfen sie alles hinein, was dem gierigen Blick ihrer Wünsche entbehrlich erscheint oder wertlos. 

Doch gibt ein Brunnen nicht mehr und nichts anderes zurück als Wasser. Wasser, das ihm  in der Tiefe zuströmt. 
Haben nun die Menschen einen Brunnen ausgemacht, reichlich mit ihren Entbehrlichkeiten und Wünschen versehen und die Erfahrung gemacht, dass er kein Wunschbrunnen ist, schmähen sie ihn seines Wassers wegen, beschweren sich, dass es nach dem Zeug schmeckt, das sie hineinwarfen. 

Brunnen sind wehrlos. 

Hach, plätschern die geschwätzigsten der Zimmerbrunnen aufgeregt durcheinander, gerade so ergeht es mir!

Sihoskla nimmt einen Zug aus der Wasserpfeife, schließt die Augen und wünscht sich weit fort ... an einen Brunnen.

Ludwig Janssen © 11.7.2008


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