Donnerstag, 7. März 2013

Vierneunzig

Sie puhlte den Pinguin aus dem Haufen Plüsch im Foyer des Aquariums. Damit fing es an. Die gertenschlanke Blondine an der Kasse machte noch kein Aufhebens darum, und mit 'Vierneunzig', dem Austausch gültiger Währung und eines Kassenbons hätte man die Sache auf sich beruhen lassen können. Doch dazu hätte ich mit jedem anderen Lockenköpfchen dieses Universums unterwegs sein müssen - nur nicht mit ihr. Sie puschelte voraus ins Café, ich sorgte für ein Fenster mit Blick auf Arngast. Genauer gesagt war es ein Blick auf Nebel, tief hängende Wolken mit Spuren blassen Blaus, der Ahnung von Horizont irgendwo zwischen Hellgrau und etwas weniger hellem Grau sowie ein paar zarten Federstrichen Umbra. Sandbänke vielleicht, über denen sich die Nordsee anders kräuselte. Fern ein verlorener Stalagmit mit Leuchtdiode: Blauweiß. Urplötzlich der orangene Aufkleber vor meiner Nase: 4.90 - was sonst? Existenzialistisch, säuselte sie. Ein Blick in ihre Augen ließ keinen Zweifel daran, dass ich jetzt meinen allumfassenden Blick abzuschalten, den Liebsteanguckstrahler zu aktivieren und adäquat zu antworten hätte - Nebel hin oder her - und: Arngast, verloren in der Wintermilch dieses Dezembertages? Keine Chance! Fokus auf zwei graublaue (Meerblau! - Achtung!) Signalfeuer: Hey, Alter - lass dir was einfallen, ich warte! Außerhalb des Cafés gab es in diesem Moment sicherlich so etwas wie Wellengeplätscher, Möwenkreischen und feuchte Kälte, die die Hosenbeine hochkroch - hier jedoch gab es nur eines: keinen Ausweg! In meinem Hirn wirbelten berstende Gedankenschranken, stampfte Rosenblatt in Mandelsplitter durch Kappes und Salat, blinkten rote Lämpchen, dass meine Rappelkiste sich um nichts anderes mühte als um Antwort, Antwort, Antwort! Das alles in Bruchteilen von Sekunden: 

Mach ein Gedicht draus - ein Punkt ist schon drin! 

Der nasskalte Himmel über dem Jadebusen genügte sich weiterhin in pastellfarbenem Verharren, und sicherlich gab es da draußen Wellengeplätscher, Möwenkreischen und jede Menge andächtig stimmende Stille. Doch das wildlockige Universum neben mir blühte in schillernden Spiralnebelkaskaden auf, prustete laut auflachend Supernovae in die Nacken unbedarfter Cafégäste und japste nach Luft: Ein Puhuunkt!

Ich frage, hätte jetzt jemand eine knappe Erklärung parat für die anderen Gäste, denen gerade der Cappuccino entglitten war? Ich auch nicht. Mein gewisser allumfassender Blick wandte sich wieder jenem rätselhaften Übergang von Himmel und Meer zu, der sich irgendwo da hinten zwischen Grau-Blau-Weiß und Weiß-Blau-Grau verlor. Dazu, natürlich ihrer Ansicht nach völlig unpassend und "beinahe debil", mein breites Schmunzeln ...
 
Ludwig Janssen © 27.12.2006
 

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