Samstag, 2. Februar 2013

Cycocel

Am 30. Juni 2011 setzte ich eine Handvoll Halmverkürzer im Rasen vor meinem Fenster aus und überließ sie ihrem Schicksal. Unverzüglich begannen sie, mit winzigen Äxten die wild wuchernden Halme der Gräser zu bearbeiten, fällten Gänseblümchen und errichteten aus deren kräftigen Stämmen Blockhäuser. Legte ich mich nahe der Stelle, an der sie ihr erstes Lager aufgeschlagen hatten, auf den Bauch, konnte ich ihr reges Treiben beobachten. Die Frauen sah man den Männern zur Hand gehen oder an winzigen Webstühlen Gesprächsstoff wirken, der an Transparenz und Brillanz nicht zu überbieten zu sein schien. Ihre Kinder spielten Verstecken im Moos. Als Haustiere hielten sie Springschwänze, die ihnen bis zur Hüfte reichten. Wie zum Vergnügen sprangen die über die Blockhäuser der Halmverkürzer hinweg, suchten jedoch schnell wieder die Nähe der Kleinen und gaben sich ihrem Spiel hin.

Mit der Zeit nahm die kreisrunde Stelle im Rasen, an der die Gräser nicht so hoch wuchsen wie im übrigen Grün, an Umfang zu, doch waren die Häuser der Halmverkürzer von Unkundigen mit bloßem Auge nicht auszumachen, lagen im Schatten des Weißklees, und ihre Bewohner gingen ihrem Tagwerk nach oder zur Jagd, ohne viel Lärm zu machen. Nachts illuminierten grünlich schimmernde Laternchen die freien Flächen zwischen den Hütten. Hierzu hatten die Bewohner der Siedlung Glühwürmchen gemolken und deren Milch zu Leuchtkäse verarbeitet, der in der reifen Variante als Brennstoff taugte, als Quark genossen jedoch dafür verantwortlich war, dass auch die Halmverkürzer in blassem Grün schimmerten. So waren sie leicht auszumachen, wenn sie auf ihren nächtlichen Jagdzügen den Rasen durchstreiften auf der Suche nach etwas, das ihre Speisekarte bereichern sollte. Dann flackerten vereinzelt kleine Feuer auf, um die sich die hungrigen Jäger scharten, Gebratenes aßen und sich Geschichten erzählten von dem, was sein kann und dem, was sein muss.

Heute mähte meine Vermieterin den Rasen.



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