Freitag, 8. Februar 2013

Bleistift

Diese elenden Finger! Der Bleistift fühlte, wie ihm schwer um sein schwarzes Herz wurde. Seit er seiner Bestimmung folgte, spürte er sich schwinden.

Niemand nahm ihn wahr. Selbst das Papier, dem er sich kaum hörbar kratzend anvertraute, wenn die Finger ihn in endlosen Schleifen schwindlig trieben, rieb ihn auf, nahm seinen graphitosen Kern, knisterte verstohlen – und schwieg.



Er aber machte gute Mine zum bösen Spiel, tat, was man
von ihm erwartete. Mehr nicht. Niemand achtete ihn, er wurde überall befingert und jedes Mal, wenn er sein Bestes gegeben hatte und nicht mehr konnte, meinte, dass es endlich vorbei sei und die Finger ihn in Ruhe ließen, nahmen sie ihn richtig hart ran.
Steckten seinen Kopf in den Stiftfresser und pressten mit heftigen Rucken seine weiche Seele HB gegen kalten, scharfen Stahl. Schälten ihn auf und legten gnadenlos sein Innerstes frei, nur um es sogleich wieder an irgendeinem rauen, teilnahmslos nehmenden Papier aufzureiben.

So machte man ihn immer wieder spitz, ohne sich wirklich auf ihn einzulassen. Er fühlte sich benutzt, beliebig und wertlos.

Diese aussichtslose Tretmühle wuchs ihm über den Kopf. Verzweifelt rollte er sich zur Tischkante und stürzte sich auf den gekachelten Boden. Brach sich das Herz und tickerte unter den Schreibtisch.

Dort staunte ihn eine Staubmaus mit großen Augen erschrocken an und -
die Fingernägel einer Rechten rissen ihn in die Zange von Mittelfinger, Zeigefinger und Daumen.

Ich kann nicht mehr! Ich will hier weg, nur weg, dachte der Bleistift. Da sah er einen Stoß Blätter mit seinen grauen Spuren darauf, sah, wie diese gelesen, geküsst und in einen Umschlag gesteckt wurden.

Der Bleistift fasste sein auf Stein gebrochenes Herz, schmiegte sich in die Finger, die seinen Untergang bedeuteten, und riss ein Blatt Papier aus der unschuldig weißen Gleichgültigkeit: Vergehen ist Werden! Er war wieder auf seinem gewohnten Weg in ein anderes Leben.








Ludwig Janssen © 17.9.2006, überarbeitet 9.3.2007



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