Dienstag, 1. September 2009

Der Elefant im Kirschbaum

Ja, ich gestehe: Ich erschoss einen Elefanten! Sylvia. Inzwischen sei Gras über die Sache gewachsen, irrte ich lange Zeit, als ich sie heute wieder vor mir liegen sah. Doch war sie mehr Gras als mein Vergessen, ihr Tod ein jähes Ende, und so etwas vergeht nicht, das holt dich ein, hinterrücks, zack, und fasst mit unverhofft kaltem Händchen unters Hemd.

Speckkirschen, der Baum trug süße, glänzende Speckkirschen, ragte nebenan in den Himmel, welcher, da er sich an dieser Stelle über Kleve befand, sich geschwätzig in ebenso allwissendem wie zugleich ahnungslosem niederrheinschen Himmelblau erging. Großkotzig wölbten Himmel und Baum sich über Nachbars Garten, der Baum mitsamt seinen Früchten, dem dichten Laubwerk und dem Elefanten darin, der damals noch nicht wusste, dass er einer ist, nein, werden würde. Ich, noch potentieller Killer, stand in Vaters Garten, und ja, ich hätte hingehen und Sylvia vertreiben können, jedoch war mir einfach nicht danach, das muss ich zu meiner Schande gestehen.

Sylvia Borin turnte durch den Kirschbaum, hängte sich, so schien es, kopfüber von den dünnsten Ästchen hinunter zu den Früchten und fischte nach Spinnen, völlig schwindelfrei und ebenso völlig ahnungslos, dass ihr Ende unmittelbar bevorstand. Viereinhalb Millimeter Blei pfiffen ihr durch den filigranen Leib, fetzten die Organe zu blutigem Brei. Sie war auf der Stelle tot.

So starb Sylvia Borin, der Elefant aus Nachbars Kirschbaum. Gemeuchelt durch die frevelhafte Tat eines Jungen mit Luftgewehr. Als ich’s heute Nacht meinem Kätzchen erzählte, schlug es erschrocken ein Pfötchen vors rosa Schnütchen und schaute mich entsetzt an: Ludwig!

Da wusste ich: Ich tötete einen Elefanten, und das würde mich nie, nie wieder loslassen.

Ludwig Janssen © 3.5.2009

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